Falsch gemeldet, eingesperrt

■ Wahlkampf an der Elfenbeinküste, und 48 einheimische Printmedien mischen mit: Hat Präsident Bédié seinen Doktor gekauft? Und ist der Oppositionskandidat ein echter Ivoirer?

Eine Schlagzeile hat den Chef ins Gefängnis gebracht: „Ein Student tot, vier schwer verletzt“ hatte der Populaire, eine oppositionelle ivoirische Tageszeitung, am 28. April dieses Jahres getitelt. Seither sitzt ihr Chefredakteur hinter Gittern. Raphaäl Lakpé (50) wird „Verbreitung falscher Informationen“ und „Gefährdung der öffentlichen Ordnung“ vorgeworfen.

Die Begründung für das harte Vorgehen gegen den Chef und einen weiteren Journalisten des Blattes, Jean Khalil Sylla: Die Information war falsch. Laut der Justiz der Elfenbeinküste hat der Populaire mit seinem reißerischen Titel schwere Studentenunruhen ausgelöst. Lakpé hat den Fehler eingestanden und ihn mit falschen Informationen erklärt, die sein Reporter vor Ort in Port Bouet erhalten hat. Tags drauf war das auch in einer Richtigstellung auf Seite 4 des Blattes zu lesen.

Was jedoch die Studentenunruhen betrifft, da hält sich der Inhaftierte für unschuldig. Denn die Unruhen fanden bereits an den beiden Tagen vor der Veröffentlichung seines Titels statt – danach nicht mehr. Außerdem waren auch andere Medien der Falschmeldung aufgesessen, zum Beispiel „Africa Nr. 1“. Bloß hatte das für den internationalen Radiosender, dessen Eigentümer ein politischer Freund des ivoirischen Staatspräsidenten ist, keine Folgen.

Die durchweg jungen Journalisten des Populaire, die das Blatt seit drei Monaten in Schrumpfbesetzung erstellen, sind überzeugt, dass andere Gründe als die Falschmeldung den Ausschlag für die Inhaftierung ihres Chefs gaben. Denn das Boulevardblatt mit einer täglichen Auflage von maximal 5.000 Exemplaren hatte schon zuvor mit „Enthüllungen“ für großen Ärger im Präsidentenpalast gesorgt. Einmal, als es titelte, Staatspräsident Henri Konan Bédié habe seinen Doktor vor 30 Jahren in Frankreich „gekauft“. Ein zweites Mal, als Direktor Lakpé eine ganze Seite voller obszöner „offener Fragen“ an die Informationsministerin der Elfenbeinküste stellte. „Darf man schreiben, dass die Gattin des Staatspräsidenten lesbisch ist?“, hatte er unter anderem angefragt. Die Fragen empörten Staatspräsident Bédié derart, daß er sie kopieren ließ und westlichen Besuchern überreichte: „Das ist Verleumdung, kein Journalismus.“

Tatsächlich treiben die Medien in dem westafrikanischen Land eigenartige Blüten. Nachdem der verstorbene Präsident Félix Houphouät-Boigny auf Druck aus Europa und den USA 1990 das Einparteiensystem abschaffte, ließ er gleich auch die Medienvielfalt zu. Seither entstanden über 100 Parteien und Dutzende von „Zeitungen“, von denen manche nicht einmal einen Telefonanschluss, geschweige denn ausgebildete Journalisten haben. Viele mussten bereits wieder schließen.

Gegenwärtig erscheinen an der Elfenbeinküste 12 Tageszeitungen, 25 Wochenzeitungen, 5 Zweiwochenzeitungen und 9 Monatshefte. Das ist viel für ein Land mit 15 Millionen Einwohnern, von denen nur die Hälfte des Lesens und Schreibens mächtig ist, nur ein kleiner Teil in den – städtischen – Verbreitungsgebieten der Printmedien lebt und dessen Bewohner sich nur in Ausnahmefällen die 200 bis 300 Franc CFA (0,30 bis 0,60 Mark) für eine Tageszeitung leisten können.

Die Gesamtauflage der Printmedien im Land stagniert seit 1990 bei knapp 100.000 täglichen Exemplaren. Sie kommen heute nicht mehr allein aus dem Verlag der staatlichen Fraternité Matin, sondern aus einer Vielzahl kleiner und Kleinstverlage, von denen viele der verlängerte Arm politischer Interessengruppen sind.

Im Kontext der nahenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 entstand so vor wenigen Monaten das Revolverblatt Le National, das sich schwerpunktmäßig mit pornografischen „Enthüllungen“ über oppositionelle Politiker und ihre Gattinnen beschäftigt. Seine Chefs geben offen zu, dass ihre Rechnungen bei Druckerei und Vertrieb von „Freunden“ beglichen werden. Die Reaktionen der oppositionellen Presse ließen nicht lange auf sich warten.

Seit der aussichtsreiche Oppositionspolitiker Alassan Dramane Ouattara seine Kandidatur für das Präsidentenamt bekannt gab, gibt es kein Halten mehr. Regierungstreue und oppositionelle Blätter bezichtigen sich gegenseitig der „Lüge“ und „Heuchelei“, und die alles beherrschende Frage in der kleinen Medienlandschaft des Landes ist der von Staatspräsident Bédié lancierte Verdacht, sein Herausforderer sei überhaupt kein richtiger Ivoirer und damit gar nicht berechtigt anzutreten.

Das Klima wird täglich aggressiver und setzt auch die professionell gemachten Zeitungen unter Druck. Sowohl diejenigen, die sich selbst als „unabhängig und links“ bezeichnen, wie le jour, als auch jene, die offen Kampagne für einzelne Kandidaten machen, wie zum Beispiel das Blatt Notre voie. Chefredakteur Diabate A. Sidick, fragt vorsichtshalber jeden Anwärter auf einen Redaktionsposten: „Bist du bereit ins Gefängnis zu gehen?“ Dorothea Hahn