Soundscapes der Stadtlandschaft

„Wenn du aufmerksam durch die Stadt läufst, merkst du, wie wir permanent in ihren Beat gezwungen werden“: Sam Auinger und Bruce Odland reduzieren Straßenlärm über Resonanzrohre in eine harmonisch antiphonale Sinfonie der Großstadt  ■   Von Christiane Kühl

Man sieht es dem Mann nicht unbedingt an, aber er ist in der Kirche groß geworden. St. Florian, sagt Sam Auinger über seine österreichisches Heimatdorf, sei ein einziges Barockstift. Wenn Ostern das Händel-Oratorium auf der Bruckner-Orgel gespielt wurde, heulte die ganze Gemeinde. Das machte die Sache einfach. Was aus dem Radio kam, war keine Musik. Musik, verstand der Junge, ist Klang im Raum.

Lärm, sagt der 43jährige, ist Struktur. Und zwar eine dominante, auch wenn unsere Kultur augenscheinlich visuell ausgerichtet ist. „Wenn du aufmerksam durch die Stadt läufst, merkst du, wie wir permanent in ihren Beat gezwungen werden.“ Gleichzeitig hat das Ohr ein Potential, von dem das Auge, das sich gern als raumkonstituierend begreift, nur zu träumen wagt: Es fokussiert nicht. „Das ist das Wahnsinnige am Hören“, schwärmt der Mann, der mit Vorliebe dunkle Sonnenbrillen trägt, „wir sind immer 360 Grad.“

Lärm ist Struktur, und zwar eine dominante

Die Welt des Ohrs ist gewissermaßen größer. Und noch lange nicht ausgelotet, was ihr eine Perspektive für die Zukunft verschafft. In Metropolen wie Bombay oder Bangkok wird der Verkehr längst nicht mehr durch Lichtsignale geregelt, sondern durch Hupen. Akustisch passt einfach mehr rein in den urbanen Raum.

„The Hearing Perspective“ und „The Alphabet of Sounds“ heißen die Konzepte, an denen sich die gemeinsamen Klanginstallationen von Sam Auinger und dem Amerikaner Bruce Odland orientieren. Seit zehn Jahren interessieren sie sich für die Straßenkreuzungen dieser Welt, wobei sie bei ihren Projekten die umgekehrte Strategie verfolgen: Statt zu addieren substrahieren sie. Der konkrete Krach vor Ort ist ihnen Klangmaterial, aus dem komplexe harmonische Strukturen gefiltert werden. Angefangen beim Rondell um das Forum Romanum in Rom über den West Side Highway in der Nähe von The Kitchen in Manhattan bis zur Ecke Grunerstraße/Stralauer Straße bei der Parochialkirche in Berlin installieren die beiden sogenannte „tuning tubes“ in den Außenraum, die über ihre Länge und ihren Durchmesser auf einen Grundton gestimmt sind. Über exakt in diesen Resonanzrohren plazierte Mikrofone werden bestimmte Obertöne verstärkt, die in dem vom Publikum besuchten Innenraum ein komplett neues Klangbild entstehen lassen. Der Kontakt zum Außen bricht dabei nie ab: Jede Veränderung der ursprünglichen akustischen Situation wird sensibel registriert. Die Stadtlandschaft, klanglich dem Industriezeitalter verhaftet, wird durch dem Informationszeitalter angemessene elektronische Echtzeitbearbeitung zur Soundscape.

Die aktuelle Installation „Motet R“, im Rahmen der singuhr-hörgalerie in der Parochialkirche aufgebaut, ist eine räumliche Komposition in b und f. Der Hörer, der vielmehr ein Betreter des Klangraums ist, wird im Kirchenschiff mit einer transformierten Realität konfrontiert, die ihn zuallererst auf ihn selbst und seine persönliche Paranoia zurückwirft.

Das Brummen des umfließenden Verkehrs, auf ein vibrierendes Obertonspektrum reduziert, erinnert an Soundtracks von 70er-Jahre-Horrorfilmen, an jene Szenen, in denen der Held bereits so von allen guten Geistern verlassen ist, dass allein das Rauschen des Bluts in seinen Ohren zu hören ist. Martinshörner, Passanten und die vorbeifahrende S-Bahn sind nurmehr als Zitate einer unerreichbaren Welt im anderen Orbit zu vernehmen. Je länger man sich jedoch zwischen den flirrenden Tönen aufhält und begreift, dass es sich hier um den Soundtrack zum eigenen Film handelt, desto faszinierender und heimeliger wird die antiphonale Sinfonie der Großstadt.

Sam Auinger, der 1997 als DAAD-Stipendiat nach Berlin kam und bis heute kein Verlangen verspürt, die Stadt wieder zu verlassen, interessiert vor allem „das Danach“ seiner Arbeiten.

Ein Satz neue Ohren für die Linzer Bürger

Ohren sollen geöffnet und Rezeption verändert werden. Wenn das geschehen ist, können die Projekte beendet werden. So die 1997 mit Rupert Huber gegründete Band Berliner Theorie, die ihre Hauskonzerte über RealAudio live ins Internet stellte, um zu zeigen, dass jeder mediale Station sein kann; als sich 8.000 Zuhörer gleichzeitig einloggten, wurde sie aufgelöst.

Umgekehrt ging es einer Auftragsarbeit von der Ars Elektronica zur 750-Jahr-Feier der Stadt Linz. In Anlehnung an Johannes Keppler sollte die Installation im Schlosspark Klangbild als Generalreferenz für Weltverständnis vorschlagen. Nach dem Aufbau gründete sich umgehend eine Bürgerinitiative gegen die Beschallung des öffentlichen Raums – sechs Monate später stellten die Linzer ihre Uhren nach dem Beat und gründeten eine BI zum Erhalt des Kunstwerks. Ganz so, als hätten Auinger und Odland ihnen einen Satz neue Ohren verpasst.

„Motet R“. Bis 5. 9. jeweils Donnerstag bis Sonntag von 14 bis 20 Uhr, Parochialkirche in Mitte