Moskau meldet einen Etappensieg

Russlands Luftwaffe soll in Dagestan Ordnung herbeibomben. Die Armee ist genauso wenig vorbereitet wie auf den Tschetschenienkrieg. Derweil rüstet Volksheld Bassajew zur nächsten Attacke  ■   Aus Moskau Klaus-Helge Donath

„In anderthalb, spätestens aber zwei Wochen“ sei die Krise in Dagestan gelöst, versprach Russlands amtierender Premier Wladimir Putin siegesgewiss Kremlchef Boris Jelzin. Schon einmal hatte ein russischer Verteidigungsminister dem Präsidenten die Lösung eines Problems binnen weniger Stunden verheißen. Damals wurden knapp zwei Jahre daraus, und die Lösung entsprach einer schmachvollen Niederlage an allen Fronten: Moskaus tschetschenisches Abenteuer von 94 bis 96. Hat Russland etwas aus dem kaukasischen Debakel gelernt?

Das Szenario in Dagestan erinnert fatal an die Desorganisation und Ratlosigkeit der russischen Armeeführung in Tschetschenien. In den ersten Tagen des bewaffneten Konfliktes hatten die Streitkräfte alle Hände voll zu tun, tödliche Irrtümer als gewöhnliche Gefechtsverluste hinzustellen. Wenn die Armeeführung indes etwas gelernt hat, dann aus der aseptischen Kriegsberichterstattung der Nato im Kosovo. Russlands Fernsehzuschauer werden täglich mit Statistiken über Aufklärungs- und Kampfeinsätze der Luftwaffe versorgt. Der Haken: Der Krieg findet am Boden statt, in einer schwer zugänglichen Gebirgsregion.

Nach den Erfahrungen in Tschetschenien hat es die russische Armeeführung versäumt, Spezialeinheiten auf den Kampf im Gebirge vorzubereiten. Die Rebellen um den jordanischen Warlord Chattab und Tschetscheniens Helden Schamil Bassajew sind in den letzten beiden Jahren gezielt vorbereitet worden: „Heute treffen sie wieder aufeinander. Die gut ausgebildeten, höchst mobilen, in Tschetschenien trainierten Kämpfer und der von Russen geführte bewaffnete Mob“, meinte der Moskauer Militärbeobachter Pawel Felgenhauer kritisch.

Daher stützt sich die Armee vornehmlich auf den Einsatz der Luftstreitkräfte. Das kaukasische Hauptmassiv einzuebnen dürfte aber viel schwieriger sein, als die Wohnviertel Grosnys vom Erdboden zu tilgen. Gestern meldeten russische Quellen, die Rebellen der islamistischen Sekte der Wachhabiten hätten nach Kämpfen mit russischen Einheiten 200 Mann verloren. An eigenen Verlusten gab die Armee 10 Gefallene und 29 Verletzte an. Die Tschetschenen dementierten: 5 Guerilleros seien getötet und 15 verletzt worden. Um die eigenen Angaben zu untermauern, verbreitete das Hauptquartier der föderalen Streitkräfte in Dagestan den angeblichen Wortlaut eines Funkspruches Bassajews, der verzweifelt Verstärkung anfordert und hohe Verluste eingesteht.

Seit gestern werden aus allen Teilen Russland Spezialeinheiten des Innenministeriums in die dagestanische Hauptstadt Machatschkala verlegt. Außerdem stellte das Innenministerium in Dagestan Freiwilligeneinheiten aus Einheimischen zusammen. Ein gefährliches Unternehmen in einer Region mit über dreißig Völkern, deren Zusammenleben auf einem höchst labilen Gleichgewicht beruht.

Angeblich gelang es den Freiwilligenkorps in Kooperation mit föderalen Kräften, das Gebiet Zumada von Freischärlern zu „säubern“. Unter den verletzten Rebellen soll auch Warlord Chattab sein, während dessen Dolmetscher in russische Gefangenschaft geraten sei. Die erste Etappe sei abgeschlossen, sagte der Kommandeur der Truppen des Innenministeriums, Wjatscheslaw Owtschinnikow. Der zweite Schritt, die Region Botlich zurückzuerobern, solle am Dienstag angegangen werden.

Auch Bassajew schläft nicht. Er erklärte die erste Etappe, in der es das Gebiet Botlich zu besetzen galt, als „vorzeitig vollendet“. Die nächste Unternehmung trägt den Codenamen „Imam Gamsat-Bek“. Was sich dahinter verbirgt, verriet der Warlord nicht. Aus seinem Langzeitvorhaben hat er indes nie ein Hehl gemacht: „Das Ziel ist die Vereinigung Dagestans und Tschetscheniens. Russland wird im Nordkaukasus nicht mehr präsent sein.Unsere Aufgabe ist es, übermäßiges Blutvergießen zu verhindern.“