Jelzins neuer Mann führt schon Krieg

■  Premier Putin profiliert sich vor der Duma-Abstimmung über seine Kandidatur als Mann mit harter Hand: Er lässt die Rebellen in Dagestan massiv angreifen und schließt Bombenangriffe auf Tschetschenien nicht aus

Moskau (taz) – Die Scharmützel in den Bergen Dagestans zwischen russischen Einheiten und islamistischen Rebellen, die vor einer Woche von Tschetschenien aus in der Nachbarrepublik Dagestan eingefallen waren, gehen nach Angaben des amtierenden russischen Premiers, Wladimir Putin, in die entscheidende Phase. Putin sagte in Tomsk, eine „umfangreiche Offensive“ sei bereits im Gange. Genauere Angaben aus dem Kriegsgebiet über den Maßstab der russischen Gegenoffensive waren unterdessen nicht zu erhalten.

Am Montag hatte Präsident Jelzin den ehemaligen Geheimdienstchef und gelernten Spion zum amtierenden Ministerpräsidenten ernannt. Kommenden Montag entscheidet die Duma in einem ersten Wahlgang über Putins Kandidatur. Es gilt bisher als sicher, dass die Mehrheit des russischen Parlaments Jelzins fünften Premier in anderthalb Jahren die Zustimmung nicht vorenthalten wird. Bereits im Dezember stehen Neuwahlen zur Duma ins Haus. Keine politische Kraft möchte sich daher mit dem Kreml überwerfen.

Trotz der breiten Zustimmung ist es wohl dem Wahlgang zuzuschreiben, dass sich der wortkarge Putin in der Öffentlichkeit mit allen Insignien eines Falken ausstattet. Demonstrativ zeigt er Entschlossenheit, Härte und Siegesgewissheit im Kaukasuskonflikt, wo die historische Erfahrung eigentlich eher Vor- und Umsicht gebietet. „Die Situation in Dagestan entwickelt sich in eine positive Richtung“, meinte er zuversichtlich und sprach eine offene Drohung an die abtrünnige Republik Tschetschenien aus: „Tschetschenien ist russisches Gebiet, und Luftschläge werden überall unternommen, wo sich Terroristen befinden.“

Offiziell hatte Moskau den tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow um Unterstützung gegen die Rebellen gebeten. Grosni lehnte mit der Begründung ab, der Konflikt in Dagestan sei eine innerrussische Angelegenheit.

Das UNO-Flüchtlingswerk UNHCR berichtete unterdessen, etwa sechstausend Menschen seien aus der westdagestanischen Bergregion geflüchtet, vor allem Frauen und Kinder.

Allerdings beruhen die Zahlen auf Angaben der lokalen Behörden in Dagestan. Aus Sicherheitsgründen sind in der notorisch von Entführungen heimgesuchten Region seit einiger Zeit keine internationalen Organisationen mehr tätig. Die meisten Flüchtlinge haben in der Hauptstadt Machatschkala und der Kleinstadt Buinaksk Unterschlupf gesucht. Das Hilfswerk vermutet indes, „dass etwa genauso viele in Dörfer außerhalb der Konfliktzone geflohen sind“. Klaus-Helge Donath

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