■ Das Diepgen des Tages
: Tim „Zoni“ Zabel

Der 18-jährige Tim Zabel hat sich die Netzhaut verbrannt, als er die Sonnenfinsternis ohne Schutzbrille betrachtete. Seitdem ist seine Sehkraft um fast 90 Prozent gemindert, die Heilungsaussichten sind nicht gut. Tim Zabel stammt aus Weißensee. Die Verbrennung zog er sich in Friedrichshain zu. Seine Freundin brachte ihn in ein Krankenhaus in Marzahn.

Weißensee, Friedrichshain, Marzahn: Die Zone lässt grüßen. Warum hat Tim Zabel ohne Brille in die Sonne geschaut? Hat er in der Kinderkrippe zu oft „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ hören müssen? Nein. Tim Zabel wurde gewarnt. Aber leider von Westmedien, von Wessis eben. Denen glaubt man nicht als guter Zoni. Wessis lügen alle. Das ist bekannt im Osten.

Sie haben es so schwer, unsere Zonis. Sie recken den Fugenfinger gen Westen und halten das für eine Haltung. Sie kaufen Ostprodukte, die längst von Westfirmen hergestellt werden. Sie hören wieder die Puhdys und die Stern Combo Meißen. Freiwillig. Vor acht, vor sechs, vor vier Jahren noch waren sie klüger als jetzt. Jetzt regredieren sie – Richtung Identität. Der unappetitlichste kollektive Murks erscheint ihnen heute als menschliche Wärme. Unterkriechen bei Mutter Staat, das war schön. Zumindest die heutigen Zonis sehen das so. Weil sie es so sehen wollen.

Der Zoni fühlt sich geprägt durch eine Gesellschaft, die er nicht mochte, als es sie noch gab, die ihm aber umso schöner erscheint, je länger sie versunken ist. „Die DDR war vielleicht nicht toll, aber sie hat sich um ihre Leute gekümmert. Und deswegen war sie eben doch gut. Jedenfalls besser als der Westen.“ So etwas kann man oft hören im Jahr Zehn nach dem Untergang der DDR. Dass in den noch verbliebenen Zonenzeitungen kein gnatternder Neues Deutschland-Rentner behauptete, die DDR hätte viel mehr und hochwertigere Sonnenfinsternisse produziert als der Westen, ist ein Wunder.

Zehn Jahre lang haben sich nicht wenige Zonis abwickeln lassen. Gewehrt haben sich die wenigsten. Ihre Widerstandsform ist die Flucht ins Widerliche: doof sein und pampig werden. Skinheads, die Ausländer jagen, sind vielen Zonis näher als die Gejagten – denn die Skins sind ja „die eigenen Leute“, und die bedeuten dem Zoni etwas. Mit denen kann man auch heute noch stundenlang am Stück die richtige Nationalhymne hören. Wenn es um Zonis geht, grenzt sich der Zoni nicht ab. Da hält er zusammen. Und entwickelt tränenreiches Mitgefühl für arme Jugendliche, die vom Hitlergrüßen den kollektiven Tennisarm haben.

Befindlichkeit heißt das Zauberwort der Zonis. In wessi- und ausländerfreien Gruppen marschieren sie in eine immer glorreicher werdende Vergangenheit zurück – in die Zeit, in der sie sich noch nicht begeistert mit Bananen und Begrüßungskleingeld demütigen ließen. Die narzisstische Kränkung, die sie sich damit selbst zugefügt haben, werden die Zonis den Wessis nicht verzeihen.

Von Leuten, denen man blind hinterhergelaufen ist, lässt man sich nicht noch einmal belügen und betrügen. Lieber guckt man ohne Schutzbrille in die Sonne. Ich wünsche Tim Zabel gute Besserung. Für die anderen Zonis stehen die Genesungschancen weit schlechter. Molly Bluhm