Vom Würfel zum Becher

■ Irgendwie Antifa: Die Markenmargarine Rama feiert 75-jähriges Jubiläum

Als die Medien im vergangenen Jahr alle möglichen Personen und Ereignisse abfeierten, die sich mit der Jahreszahl 1968 in Verbindung bringen ließen, wurde ein Jubiliäum sträflich ignoriert: der 30-jährige Geburtstag des Rama-Bechers, eines Produkts, das jeden Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge beinahe klassisch anmuten dürfte. Der 250-Gramm-Becher löste den in goldfarbenes Papier eingewickelten Würfel ab, und vielleicht war das ja überhaupt nur möglich in einem gesellschaftspolitisch so turbulenten Jahr.

Immerhin können die Historiker jetzt die Gelegenheit nachholen, sich mit der Geschichte dieser Margarine zu beschäftigen, denn in diesem Monat wird Rama 75 Jahre alt. Anfang 1924 hatten die Deutschen Jurgenswerke AG, die bis dato mehr als hundert Margarinesorten produziert hatten, den Einfall, eine große Konzernmarke zu schaffen.

So brachten sie am 15. August die „Rahma“, wie sie damals noch hieß, auf den Markt, warben dafür auf 800.000 Plakatwänden und führten als Reklame-Protagonisten das rotwangige „Rahma-Mädchen“ ein. Drei Jahre später musste allerdings das „h“ dran glauben, weil ein Gericht befunden hatte, der alte Name wecke unzulässige Assoziationen (Butterrahm!).

Rama ist seit jeher ein sehr deutsches Produkt – obwohl die Mitglieder der Rama-Familien oft von Briten gespielt wurden. In einem „Sparkochbuch“, das die Margarinemacher 1931 veröffentlichten, heißt es mit Bezug auf die Wirtschaftskrise: „Das Rama-Mädchen, deutsche Frauen / Kennt Eure Not – Ihr könnt ihr trauen!“ Doch das nationale Pathos nützte zwei Jahre später nichts mehr: Die Nazis führten eine Margarinesteuer ein und subventionierten die einheimische Butter, um „Deutschland im Falle eines Krieges unabhängig zu machen von den Lieferungen tropischer Ölfrüchte“, wie man kürzlich in einer firmeninternen Ausstellung lesen konnte. 1937 wurde die Werbung für Margarine verboten und 1939 auch der Brotaufstrich selbst. So gesehen ist Rama nicht nur ein sehr deutsches, sondern auch ein irgendwie antifaschistisches Produkt.

Auch die Demokratie meinte es zunächst nicht gut mit den Freunden des 1869 erfundenen Lebensmittels, denn erst 1949 wurde das Margarineverbot aufgehoben. Nach der Wiedereinführung propagierte Rama konsequent den Zeitgeist. So erschien 1954 die LP „Rama und das große Spiel von Bern. So wurden wir Weltmeister“. In einer Anzeige von 1955 verrät eine Frau, was damals Frauen glücklich machte: „Wie gut meinem Mann das Abendbrot doch immer schmeckt! Es ist wirklich eine Freude für mich zuzusehen! Manchmal bringt er noch ein paar Kollegen mit zu Tisch. Auch ihnen merke ich es an: Meine Brote schmecken delikat!“ Und wie fühlten sich die Margarinehersteller vor zehn Jahren? „1989 fällt die Mauer. Endlich können auch Familien in den neuen Bundesländern ihr Frühstück mit Rama genießen“, schreiben die Ausstellungskuratoren.

Heute werden in Deutschland angeblich jede Sekunde 14 Rama-Becher verkauft. Im Freundes- und Kollegenkreis war allerdings kein User aufzutreiben. Das wäre vielleicht anders gewesen, wenn Der kleine Coco noch existierte, eine kostenlose „Zeitschrift zur Unterhaltung und Belehrung für die Jugend“, die der Rama-Marketing-Stab in den ersten Lebensjahren des Produkts alle 14 Tage herausbrachte. Die Auflage des Blattes, das auf der Titelseite Friedrich Hebbels „Winterlandschaft“ und andere Gedichte abdruckte, war ungefähr so hoch wie die heutige von TV Movie, TV Spielfilm, Stern und Focus zusammen: acht Millionen.

Die Tiedjes und Wredes und alle die anderen notorischen „Blattmacher“, die in den letzten Jahren gescheitert sind, sollten mal einen Blick werfen in die alten Ausgaben von Der kleine Coco. Irgendeine erfolgsträchtige Idee für ein zukünftiges Projekt findet sich da doch bestimmt. René Martens