Verstecke    ■ Von Björn Blaschke

„Wenn du willst, dass deine Artikel vom parlamentarischen Ausschneidedienst in den täglichen Presseumlauf an alle Mitglieder des Bundestages geklebt werden, musst du nur schreiben: Kürzlich war ich mit einem Abgeordneten essen – und vor allem trinken.“

Das erklärte mir ein MdB, mit dem ich kürzlich essen – und vor allem trinken war. Natürlich ist es die pure Eitelkeit, die mich dazu verleitet, diesen kurzen Text zwischen die flinken Finger der fleißigen Helferlein im deutschen Bundestag, die so gekonnt die Scheren schwingen, zu bringen. Nur ganz am Rande ist es auch meine staatsbürgerliche Pflicht, ihn unseren Volksvertretern zur Kenntnis zu bringen. Wie sonst sollten sie die traurige Wahrheit erfahren?

Die Indizien mehren sich in letzter Zeit, dass es schlimm um uns bestellt ist; dass unsere Gesellschaft verrottet und verludert! Zum Beispiel wollen die Menschen nicht mehr miteinander „Verstecker“ spielen. Immer mehr Leute sagen deshalb zu sich selbst „Eins, zwei, drei, vier Eckstein ...“ – und verbergen für ihre spielverderberischen Mitbürger allüberall eklige Dinge. Und häufig finden sie dabei wirklich originelle Verstecke.

Da sprang ich neulich nach meiner Ankunft am Berliner Zoo in einen Fahrstuhl. Es war im letzten Moment, denn sonst wäre ich wohl nicht eingestiegen. Als ich aber schon in dem Lift stand und sich die Türen hinter mir schlossen, war alles zu spät: In einer dunklen Ecke des Aufzugs entdeckte erst meine Nase und dann meine kurzsichtigen Augen einen großen Haufen Scheiße.

Mag dieses Versteck noch eher zu den weniger sensationellen zählen, war jenes, das sich ein Kölner Koch ausgedacht hatte, wirklich gemein: Als ich seine Kantine besuchte und beherzt in eine Maultasche biss, spürte ich plötzlich zwischen meinen Zähnen etwas Zähes, nicht zu Durchbeißendes. Vorsichtig öffnete ich die Teigtasche und entdeckte darin – statt einer leckeren Fleischfüllung – ein Pflaster. Ob es unbenutzt war, von einem Hühnerauge stammte oder einem Eiterpickel, vermag ich nicht zu sagen; ich fühlte mich außer Stande, es zu überprüfen.

Eines Nachts aber fand ich das Versteck aller Verstecke: Ich brauchte dringend Geld und ging zum Straßensparkassenautomaten meiner Wahl. Ich favorisierte ihn bis zu jenem Abend, weil er eine so interessante Zusatzsicherung besitzt. Bevor man nämlich überhaupt seine PIN-Nummer eintippen kann, muss sich zunächst eine Metallpforte öffnen. Surrend fuhr sie also nach oben, nachdem ich meine Karte in den Kartenschlitz gesteckt hatte. Mein Vorgänger war offensichtlich mit dem Geldinstitut nicht so zufrieden gewesen, jedenfalls hatte jemand quer über die Tastatur gekotzt. Leider auch auf die Taste „Abbrechen“.

Der Bundestagsabgeordnete, mit dem ich kürzlich essen – und vor allem trinken war –, hat über diese Geschichten übrigens nicht gelacht. Als er mir aber den Vorschlag machte, eine Initiative zu gründen, die unter Erwachsenen das Spiel „Blinde Kuh“ fördert, überlegte ich, ob ich ihn nicht aufknüpfen sollte – an dem ekligen Zitronenduftbaum, den er im Kofferraum seiner Limousine versteckt. Ich horchte in mich, doch leider schaltete sich da nur der Anrufbeantworter ein.