Radio Afrika antwortet nicht

■ Noch ein Kuba-Revival: Auch der Afro-Salsa erfährt in den Neunzigern ein Comeback

„Bis in die 50er stand der größte Teil Afrikas noch unter kolonialer Herrschaft. Die Musik, die damals im Radio gesendet und gehört wurde, das war die gleiche wie in Paris oder New York“, erinnert sich Ricardo Lemvo an die Zeit, als westafrikanische Städte wie Kinshasa oder Dakar noch Filialen des französischen Imperiums waren. „Kubanische Musik war nicht die einzige ausländische Musik, die man hören konnte, es liefen auch Charles Aznavour, Elvis Presley oder Frank Sinatra. Aber kubanische Musik hatte den meisten Einfluss, weil sie einen spürbar afrikanischen Charakter aufwies.“

Europäer brachten die kubanischen Gesellschaftstänze wie Rumba, Mambo und Cha-Cha-Cha nach Westafrika, die dort bei den Städtern großen Anklang fanden. Allerorten schossen Bands aus dem Boden, die populäre Kuba-Hits nachspielten, zunächst in Fake-Spanisch sangen, später dann Texte in der eigenen Sprache. Im Kongo verselbstständigte sich der Trend, und aus der Adaption entstand der Soukous-Stil, der wie ein Lauffeuer Verbreitung fand und lange den Kontinent prägte.

Ricardo Lemvo verbrachte seine Jugend in Kinshasa, der Hauptstadt des Kongo, bevor er Anfang der Siebziger in die USA zog. Später schmiss er dort sein Studium, um sich ganz als Musiker zu verdingen. Sein Stil: kubanischer Son der klassischen Sorte, aber mit afrikanischem Einschlag. In Los Angeles zählt er heute zu den Lokalmatadoren der örtlichen Latin-Szene, doch sein Ruf – und seine elegante Platte „Mambo Yo Yo“ – haben sich bis nach Europa verbreitet. Ricardo Lemvo gehört damit zu den Leistungsträgern des Afro-Salsa, der, im Sog der aktuellen Hysterie um alles kubanisch Klingende, gerade wieder einen Aufschwung erfährt. Und sind Afrikaner nicht ohnehin die besseren Kubaner? Einige Indizien sprechen zumindest dafür.

Prominentestes Aushängeschild der afrikanisch angehauchten Salsa-Spielart ist die Band Africando, die vor sieben Jahren aus einem Studioprojekt des senegalesischen Erfolgsproduzenten Ibrahim Sylla entstand. In New York kamen damals, 1992, gestandene Latin-Musiker der Stadt mit namhaften Soneros aus dem Senegal zusammen, um an ihrer Fortsetzung der traditionsreichen Afro-Karibik-Connection zu werkeln. Zwar setzten sie zunächst eher risikolos auf kubanische Standards, doch gerade das brachte Africando in den Salsotecas von New York, Paris und London viele Freunde – hey, das will man doch hören?! Obwohl sie viel mit Eigenkompositionen arbeiten, orientiert sich Africando-Sound stark an dem der kubanischen Glanzzeit der 30er, 40er und 50er: Man darf das auch Retro nennen. Inzwischen haben sie ihr viertes Album produziert, und auf dem aktuellen Album „Baloba“ finden sich unter anderem merkwürdige Salsa-Versionen des Piaf-Evergreens „La Vie en Rose“ sowie des Khaled-Songs „Aicha“ – woraus man schließen kann, dass Africando ihr Hauptpublikum in Frankreich haben.

Tatsächlich vollzieht sich das Revival des Afro-Salsa vor allem außerhalb seiner Ursprungsstätte, in Afrika selbst hält sich das Feedback in Grenzen: Im Senegal sind längst andere Klänge angesagt, und aus Ex-Zaire kommen, des Bürgerkriegs wegen, schon lange keine Impulse mehr – Radio Afrika antwortet nicht. Eine Ausnahme bildet allein die Gruppe Super Cayor de Dakar, späte Exponenten einer einst florierenden Salsa-Szene im Land. Sie verrühren ihren Salsa mit der heute im Senegal populären Mbalax-Musik, ersetzen die Timbales durch senegalesische Percussion und verzichten auf flotte Bläsersätze, stattdessen sorgt das Keyboard für melodische Farbtupfer. Sehr erdig klingt dieser Roots-Salsa, und er besitzt einen ansteckenden Groove. Derzeit sind Super Cayor in Deutschland auf Tour. Da sich bisher weder Ricardo Lemvo noch Africando haben blicken lassen, bleibt Super Cayor nun die Aufgabe, dem Afro-Salsa hier den Boden zu bereiten.

Daniel Bax
‚/B‘ Platten: „African Salsa“ (Stern's/TIS), „Afro-Latino“ (Putumayo/Exil), Africando: „Baobab“ (Stern's/TIS), Ricardo Lemvo & Makina Loca: „Mambo Yoyo“ (Putumayo/ Exil), Super Cayor: „Sopenté“ (PAM) Super Cayor auf Tour: 18. 8. Hamburg, 20. 8. Hungen. 21. 8. Friedberg, 25. 8. Berlin, 26. 8. Mainz, 28. 8. Rottweil