„Bassajews Leute verstehen nur Gewalt“

■ In der Grenzregion Botlich schließen sich immer mehr Freiwillige einem Volkssturm an. Die dürftig ausgestatteten Kämpfer wollen den islamistischen Rebellen aus Tschetschenien die Stirn bieten

Schamil Bassajews Rebellen, die Dagestan mit Tschetschenien in einem islamischen Staat vereinigen wollen, haben sich in der Grenzregion Botlich in mehreren Dörfern verschanzt. Die dagestanische Führung arbeitet mit dem russischen Militär zusammen und hat Freiwillige für den Kampf gegen die Rebellen rekrutiert. Diese haben sich zu „internationalen“ Brigaden zusammengeschlossen. Die nachfolgende Reportage übernahm die taz aus der Tageszeitung Moskowskije Novosti.

Der Ansturm ist groß: In die „internationale“ Brigade, Volkssturm genannt, wollen zehnmal mehr Leute eintreten, als sie aufnehmen kann. Jeden Tag versammeln sich Gruppen von Männern neben dem Verwaltungsgebäude in Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans. Sie rauchen, trinken Limonade, sprechen über ihren Hass auf die Tschetschenen und klagen über das Fehlen von Waffen. Einer von ihnen erzählt, dass er keine Waffe habe, dafür aber „gewaltige Lust, in die Berge zu fahren und wenigstens einen der Eindringlinge umzubringen“.

Die Auswahlkriterien für die Kämpfer der Brigade sind einfach: Der Kandidat muss über eine eigene Waffe und Munition verfügen und in der Armee gedient haben. Die feierliche Verabschiedung des ersten „Bataillons“ von etwa 350 Mann erinnert irgendwie an die Sowjetzeit. Es fehlt nur der Marsch „Abschied von der Slawin“. Sonst fehlen weder die Rede des Bürgermeisters, noch die Begleitworte von Weltkriegsveteranen, Frauen, Vertretern der Intelligenz und Arbeitskollektiven.

Die Volksstürmler erinnern kaum an Soldaten, manche tragen weiße Hosen, ihre Waffen sind bunt zusammengewürfelt. Da gibt es nicht nur Kalaschnikows, sondern auch Jagdkarabiner der Marke „Tiger“ und „Sajga“, kleine Handwaffen, Schanzspaten und sogar antike Pistolen mit langen Läufen, offenbar aus der Zeit des zaristischen Kaukasus-Krieges. Unter den Freiwilligen sind Angehörige der verschiedensten Berufe und Nationalitäten, Bezirksverwaltungschefs, ein Bildhauer, Chauffeure, Gelegenheitsarbeiter und Arbeitslose, Awaren, Tabasarener, Kumyken und Darginer.

Wir nähern uns Botlich in der Dunkelheit. Unsere Busse mit ihren Scheinwerfern geben eine ideale Zielscheibe ab. Sollten wir angegriffen werden, hätten die Volksstürmler wohl kaum eine Chance, die Attacke abzuwehren. Wer ein Maschinengewehr sein Eigen nennt, hat kaum zwei Magazine dafür. „Was ist schon ein Magazin?“, stöhnt Brigadist Abakar: „Zwölf Sekunden Kampf, danach kannst du dich selbst erschießen.“

Bei unserer Einfahrt nach Botlich kommen uns Dutzende von Autos entgegen, die Fahrer hupen und lassen die unter Bergbewohnern sonst übliche Höflichkeit ganz außer acht. Schließlich erzählt man uns, die islamischen Kämpfer hätten sich inzwischen Botlich genähert.

Zum Übernachten werden wir in das Haus des Mitglieds des örtlichen Selbstverteidigungsstabes, Murtus Gassangadschijew, geführt. Murtus' Neffe, der 20-jährige Sabik, kochte Tee und bereitet sich auf die Nachtpatrouille vor. Ich frage Sabik: „Nimm mal an, fünfzehn von euch stehen auf der Straße. Ihr habt zwei Kalaschnikows, zwei Jagdkarabiner und eine Makarow-Pistole. Auf euch zu fährt ein Laster voller islamischer Kämpfer mit Maschinengewehren und Granatwerfern, sie fordern, durchgelassen zu werden. Was würdest du machen?“ Sabik überlegt kurz: „Wenn das nicht bei meinem Dorf wäre, würde ich sie durchlassen, danach aber die Einwohner benachrichtigen, was da für ,Gäste‘ kommen. Aber wenn sie auf Botlich zuführen, würde ich lieber sterben, als sie vorbeizulassen. Die Wahhabiten kommen hier nicht durch.“

„Wegen dieser Kämpfer haben wir Millionen von Rubeln Schaden erlitten“, sagt am nächsten Tag Schamil Kerimow, der Verwaltungschef des Bezirks Botlich. „Dabei sind doch unsere Beziehungen zum Nachbarbezirk in Tschetschenien immer ganz fantastisch gewesen. Zu Zeiten des Krieges haben wir Tausende von Flüchtlingen bei uns aufgenommen, auch danach haben wir Mehl, Zucker, Kinderkleidung geschickt.“ Murtus Gassandschijew drückt sich schärfer aus: „Beide Bassajews haben uns seinerzeit nahezu mit Tränen in den Augen 'Brüder‘ genannt. Und nun dieser 'Dank‘. Nein, mit denen kann man nicht reden. Bassajews Leute verstehen nur Gewalt.“

Dmitri Balburow

Übersetzt von Barbara Kerneck