Prizren spricht türkisch

Milosevic hat das multikulturelle Prizren zerstört: mit Repression für die einen und Privilegien für die anderen. Ein Weg zurück ist schwierig. Eine Reportage  ■   von Erich Rathfelder

Schon der erste Blick auf die Stadt Prizren zeigt, dass hier viele unterschiedliche Kulturen ihren Platz gefunden haben. Die orthodoxen und katholischen Kirchen, die Moscheen, die türkische Burg auf dem die Stadt überragenden Berg, die Gebäude in türkischem Stil entlang des Drini-Flusses und die mit Erkern bestückten und bunt bemalten Häuser der Serben, die sich den Burgberg hinaufdrängen, zeugen von ethnischer und religiöser Vielfalt. Hier lebten über JahrhunderteTürken und Albaner, Serben, slawische Muslime, Roma, Juden, albanische und slawische Katholiken friedlich miteinander.

Wer Stadtbürger sein wollte, sich abgrenzte von den Dörflern außerhalb, sprach traditionell türkisch. Das ist bis heute so. Für die Bürger der Stadt ist es selbstverständlich, neben türkisch auch albanisch und serbisch zu sprechen. Zum Beispiel Gazim. Der 25-Jährige stammt aus einer alten Familie in Prizren, er spricht wie viele seiner Altersgruppe zudem noch deutsch und englisch. Er selbst bezeichnet sich als Albaner, er hat ein Jahr lang in Deutschland gelebt, kennt Italien und den Rest des alten Jugoslawiens. Er könne sich die Stadt ohne ihre Vielfalt nicht vorstellen. Als vor wenigen Wochen serbische Häuser in der Altstadt brannten, glaubten er und seine Freunde: „Das können nur Leute von außerhalb gewesen sein.“

Der Geist der Intoleranz habe die Stadt vergiftet, klagt er. Der jugoslawische Präsident Slobodan Miloševic habe die Serben Kosovos in den Krieg hineinmanipuliert. Auch die serbischen Bewohner von Prizren, ein Drittel der Bevölkerung, seien für seine Politik instrumentalisiert worden. Um das zu begreifen, müsse man sich die Dörfer der Umgebung anschauen, sagt er.

Die Straße nach Süden schlängelt sich eine enge Schlucht hinauf, bis sich schließlich ein weites Tal öffnet. Hier liegt Recanik: rund 3.000 Einwohner, mehrere Moscheen, lateinische Schriftzeichen. „Wir sind hier Bosniaken, slawische Muslime, aber keine Serben“, beeilt sich Vlahidin Aslani, der Bürgermeister, zu betonen. Auch in den Nachbardörfern Musnikovo und Gornje Selo sei die Bevölkerung bosniakisch, insgesamt lebten hier an die 15.000 Menschen. Die serbischen Soldaten hätten diese Dörfer nicht zerstört. „Sie haben aber unsere Männer für die Armee mobilisieren wollen.“ Nach dem Beginn der Nato-Luftangriffe seien 220 Männer des Dorfes nach Makedonien geflüchtet. „Wir haben nichts gegen die Serben, nichts gegen die Albaner, wir wollten nicht kämpfen.“

Berichte, wonach die Muslime hier aus Rache von Albanern angegriffen worden seien, dementiert Aslani. Lediglich einige unbewaffnete Männer seien vorige Woche gekommen und hätten Geld verlangt. Die UÇK habe aber versprochen, dass es solche Vorfälle nicht mehr geben würde.

Die Albaner der umliegenden Dörfer glaubten zwar, die Bosniaken hätten mit den Serben gegen die UÇK gekämpft. Das sei aber falsch. „Alles was wir wollen ist, friedlich zu leben, Arbeit zu haben und nach Bosnien fahren zu können“, sagt der Bürgermeister.

Einfach nur in Ruhe leben will auch Irfan Ibrahimi. Der seit kurzem als Vizepräsident des Distriktes Dragas fungierende Lehrer ist zum Sprecher der 20.000 Gorani aufgestiegen, einer ebenfalls slawisch sprechenden Minderheit, die in den Bergen entlang der albanischen Grenze lebt. Die muslimischen Gorani, die sich als Zuckerbäcker und Eisdielenbesitzer einen Namen machten, leben über das gesamte Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verstreut.

Für Hass und Gewalt zwischen den Bevölkerungsgruppen Ex-Jugoslawiens macht Irfan Ibrahimi den Präsidenten verantwortlich. „Miloševic hat ganz bewusst eine Distanz zwischen Gorani und Albanern geschaffen. 1991 wurde unsere Partei SDA verboten, dann wurde der Distrikt geteilt, die Albaner von uns abgetrennt. Ihre Kinder durften nicht mehr die gemeinsamen Schulen besuchen. Sie wollten uns zu Serben machen.“

Ein Teil der Gorani-Minderheit habe aber auch mit der serbischen Führung kollaboriert. „Das ging sogar so weit, dass sie den Kurban Bajram, unser höchstes muslimisches Fest, mit dem Kriegsverbrecher Arkan zusammen feierten“, sagt Ibrahimi.

Viele, vor allem die gläubigen Muslime, hätten sich allerdings von der serbischen Politik abgewandt. „Wir konnten unseren Widerstand nicht offen zeigen, haben uns aber gefreut, als die Nato im März angegriffen hat. Viele unserer Männer sind aus der Armee desertiert.“

Obwohl sie wissen, dass die meisten der Kollaborateure nach Belgrad geflohen sind, misstrauen die Albaner der Nachbardörfer den verbliebenen Gorani. „Als wir deportiert wurden, haben die Gorani sogar unsere Häuser ausgeräumt“, sagen sie.

Besuche und Gespräche zwischen beiden Seiten gibt es bis zum heutigen Tage kaum. „Das muss verändert werden, wir müssen zu einer offenen Kultur des Dialoges zurückkehren“, sagt Savas Kazanan, der einer der Sprecher der türkischen Minderheit in Prizren ist.

Ungefähr 10.000 Menschen definierten sich als Türken, es gebe jedoch noch mehr in der Stadt und seiner Umgebung, glaubt er. Die Türken, viele von ihnen Geschäftsleute, hätten während der Zeit der serbischen Repression ihre eigene Identität verbergen müssen. Offen Widerstand gab es zwar nicht, doch man habe nichts unversucht gelassen, die türkische Regierung auf einen Anti-Miloševic-Kurs zu verpflichten.

Der junge Albaner Gazim bleibt solchen Äußerungen gegenüber skeptisch. „Es gab für die Minderheiten ein abgestuftes System von Privilegien.“ Er deutet nahe dem berühmten Brunnen im Zentrum der Stadt auf ein Café, das einem Bosniaken gehört, auf die Eisdiele eines Goran, das Geschäft eines Türken. „Die Serben haben diese Geschäfte nicht zerstört, nur jene der Albaner. Die Türken konnten ihr eigenes Schulsystem und ihre Kulturvereine behalten. So hielten sie still.“ sagt er.

„Die Bosniaken und Gorani übernahmen die Arbeitsstellen der muslimischen Albaner, als die 1991 aus den Stellungen gefeuert wurden, und hielten still; die katholischen Albaner wurden besser behandelt und wehrten sich nicht, viele Roma wurden als Totengräber und Provokateure missbraucht.“

In der Stadt sei es lediglich zu Racheakten an Serben und Roma gekommen. „Auch das muss aufhören.“ Er setzt sich in ein türkisches Caféhaus und lacht. „Hier zu sitzen ist mein persönlicher Kampf gegen Miloševic.“