■ Kolumne
: Ein Bier für ihn

Ich saß mit meinem Freund Nago Hountohué im neuen Teil des Gloria und der Kellner stand am Tisch. „Ein Bier jetzt, das wäre fein, aber dann würde ich ja wirken wie diese Künstlerdarsteller mit den wirren Haaren und den Cordsakkos da drüben – ein Bier mitten am Nachmittag!“, dachte ich, und dann: „Vielleicht nehme ich lieber eine Apfelschorle.“ „Aha, Selbststilisierung!“, sagte Nago und nippte an seinem portugiesischen Milchkaffee – er hatte ja sein Getränk!

„Was meinst du, Nago?“, fragte ich. „Du nimmst kein Bier, weil du nicht im Licht eines biertrinkenden Künstlerdarsteller erscheinen möchtest.“ – „Woher weißt du das?“ – „Hast du gesagt.“– „Habe ich nicht. Das habe ich höchstens gedacht“, antwortete ich und dachte: „Ich rede beim Denken.“ Verschreckt sah ich zum Kellner hoch. Es war gar kein Kellner, sondern eine Kellnerin. „Siehst du, schon wieder“, sagte Nago. „Du redest wirklich beim Denken. Viel interessanter ist allerdings, daß du kein Bier trinken willst, weil es nicht deinem Bild von dir entspricht.“

Welches Bild? Ich habe mindestens drei Bilder von mir! An manchen Nachmittagen falte ich alle Sachen in meinem Kleiderschrank neu zusammen und lege ein Drittel nach oben: Die klassischen Stücke. Dann denke ich an den Geruch von Hoffmanns Sprühstärke, nehme ein Hemd, besprühe und bügle es. Ich höre mir eine Platte von Belle & Sebastian an, trinke ein Gläschen Sherry, von dem ich dann gerne drei verschiedene Sorten hätte. Ich lese ein, zwei Essays in meinem Montesquieu und rufe Elisabeth an, die ich zum Essen einlade in ein Restaurant, in dem die Ober Schürzen tragen. Eine Woche später falte ich meine Sachen neu und lege ein anderes Drittel nach oben: die modernen Sachen. Dann blättere ich in der Vogue Uomo, höre einen Remix von den Basement Jaxx und so weiter.

Mein Freund Lennart zum Beispiel, der hat ein Bild von sich: Er ist der impotente Autist. Immer, wenn ich mit Lennart ausgehe, grüßen ihn die Mädchen überschwenglich, sogar mit Namen. Doch Lennart zieht die Ärmel von seinem rosafarbenen Helmut-Lang-Pullover über die Hände, nuschelt „Ich habe Kopfweh“ und geht. Oder mein Freund Carlos: Er ist der Trinker. Immer wenn er zu einer Party eingeladen wird, läßt er seine Freundin Nika ausrichten, Carlos könne nicht kommen, der sei gerade trocken. Dann lacht Nika laut, gießt sich ein Wasserglas voll mit irgendeinem Schnaps, der gerade herumsteht und ruft: „Auf Carlos!“

„Schau mal“, sagte Nago: „Diese Anzeige in der Mopo: –Strom ist gelb'. Die machen hier auf smart, aber dieser Billigstrom kommt von Atomkraftwerken in Süddeutschland. Das hast du von deiner Popkultur: Auch das dubioseste Unternehmen läßt sich auf eine Metaebene hochstilisieren und kommt damit durch.“ Lennart kam herein. Er hatte sich wohl gerade einen Anzug von Dolce und Gabanna gekauft, denn das Etikett baumelte hinten an seiner Hose herum. „Und wo ist Carlos?“, fragte ich Nika. „Der ist gerade trocken“, antwortete sie lachend und küßte Lennart, lange, auf den Mund. Die Kellnerin schaute mich genervt an. „Ein Bier für ihn“, sagte Nago.

Sebastian Hammelehle