Schön, mysteriös, modern

Eine „Catherine Deneuve Hongkongs“: Das 3001 zeigt eine Reihe mit Filmen der kantonesischen Diva Maggie Cheung.  ■ Von Tobias Nagl

Zögernde Gesten tauschen sie aus wie andere Visitenkarten. Wieder einmal ist in Peter Chans Migrantendrama Hongkong Love Affair eine brilliante Idee, Geld zu machen, gescheitert, und Maggie Cheung kaut so trotzig und selbstvergessen auf dem Strohhalm einer Coca-Cola-Flasche, wie das nur wenige können. Auch sie sei eine Fremde im Moloch der Stadt, gesteht sie in diesem Moment der Niederlage, auch sie komme vom Festland. „Your look, your gesture, your face, your hair are so Hong Kong“, versucht ihr trampeliger Sidekick sie zu trösten. Immer noch kaut sie auf dem Strohhalm, aber es ist nicht mehr dasselbe. Und dann reicht ein einziger Blick von ihr, um dieses Hasardspiel um die nimmermüden Stehaufmännchen der Neuen Weltordnung zu pointieren.

In Wong Kar-Wais Days of Being Wild, diesem hypnotisch- melancholischen „Nicholas Ray remake by Antonioni“ (Jean-Marc Lalanne), erschließt sich Heimatlosigkeit und Unsicherheit geradezu als Wesensmerkmal der Hongkonger Befindlichkeit. Die Geschwindigkeit, mit der sich diese asiatische Bubble-Ökonomie auf ihren historischen Horizont des eigenen Verschwindens zubewegte, erzählt sich darin als an den Subjekten abgelagerte Stasis. Wongs vielleicht schönster Film ist leitmotivisch von Uhren durchzogen, und die verlassene Getränkeverkäuferin Cheung klagt: „Hongkong is not my home. The nights are long and there is nowhere to hide.“

Mit über 70 Rollen hat sich diese „Catherine Deneuve Hongkongs“ (Wong Kar-Wai) als Ikone des zweitgrößten Filmexporteurs der Welt auch ins Herz des westlichen Arthouse-Publikums gespielt. Wäre Hongkong ein Gesicht, sähe es aus wie das von Maggie Cheung: schön, mysteriös, modern – schwärmt der von Jean-Pierre Léaud gepielte Alt-Regisseur in Irma Vep, Oliver Assayas' semi-dokumentarischer Handkamera-Meditation über die Mechanismen des Filmemachens und die Tücken des Schauspiels. In ihr erleben wir, wie Truffaut-Ikone Léaud vor dem Videorekorder sitzt und sich immer wieder das schwerelose Duell zwischen Anita Mui und Maggie Cheung aus Johnny Tos Heroic Trio ansieht. Dass er die Rolle der großen Musidora in seinem Remake von Feuillades stummen Serial Les Vampires mit der nicht minder großen Cheung besetzt, ist eine ideale Wahl – auch, weil Schauspielerinnen nirgendwo den proto-feministischen Heroinnen des ganz frühen Kinos näher sind als in den Actionfilmen aus Hongkong.

Erscheint sie darin vor der Kamera wie in so vielen Hongkong-Schlock-Spektakeln als in Latex maskierter Vamp, spielt sie genauso sich selbst als Superstar und Schauspielerin am Set. Ziellos und zerbrechlich, manchmal gebrochen-mädchenhaft – wirken ihre Gesten und ihr schüchternes Lächeln dann, wenn sich ihr Körper vom Fetisch zum melodramatischen Material wandeln darf – genauso aber: wohlkalkuliert und ungeheuer wirkungsvoll. Ganz und gar überwältigend ist jene improvisierte Szene in Irma Vep am Rande einer Party, in der ihr in unbeholfenem Englisch gesteckt wird, dass die bisexuelle Zoé sich in sie verliebt habe: „She likes boys, she likes girls, she likes you.“ Maggie Cheung weiß nicht, was sie sagen soll, weil sie die einzige Nicht-Eingeweihte am Set ist, kichert, sucht flehend nach Worten und nach Assayas, der die Kamera unbarmherzig weiterlaufen läßt – und ihr Spiel bekommt die fast körperliche, Cassavetes-hafte Präsenz großen Schauspielerkinos.

Vermissen mag man in dieser Retrospektive eigentlich nur Stanley Kwans Berlinale-Liebling The Actress. Darin spielt sie die chinesische Stummfilm-Diva Ruan Ling Yu, die sich mit 25 Jahren aufgrund öffentlicher Gerüchte über ihr Liebesleben, das Leben nahm. Als Maggie Chung von Kwan gefragt wird, wie sie denn von der Nachwelt erinnert werden wolle, ist ihr das nur ein schüchtern-staunendes Lächeln wert. Dies Maggie-Cheung-Lächeln, das ein Geschenk sein kann.

ab heute, bis 1. September, 3001,