„Im Museum gibt es kein ,Friss oder stirb!‘ “

■ Ausstellungen sollen Bildungsinhalte vermitteln, meint der Museumspädagoge Richartz. Das Museum soll nicht in die Erstarrung der Schule verfallen – es braucht Dramaturgen

taz: Herr Richartz, wozu braucht der Museumsbesucher die Museumspädagogik?

Christoffer Richartz: Man kann die Dinge nicht so einfach ins Museum stellen, nach dem Motto: Friss, Besucher, oder stirb! Museumspädagogik muss reichhaltig und unterhaltend das bieten, was Menschen ermöglicht, sich entlang des Ausgestellten zu bilden, etwas von einem Bild oder einem Exponat und seiner Zeit zu verstehen. Zur Museumspädagogik gehört aber auch Öffentlichkeitsarbeit. Das hat gar nichts mit kommerzieller Produktwerbung zu tun – es geht um Bildungsinhalte.

Im Museum lernen?

Ja, es müssen Informationen zum geschichtlichen Umfeld der ausgestellten Stücke bereit stehen. Das reicht von der Beschriftung der Exponate bis hin zu Lehrveranstaltungen, die das Gesehene nachbereiten helfen. Die Gefahr bei der Museumspädagogik ist, dass sie sich in eine sehr enge, schulbezogene Zielgruppenarbeit abschieben lässt. Dabei sollte sie gerade die Erstarrung der Schule auflockern – und nicht auch noch in die Museen tragen.

Welche Möglichkeiten haben Sie, konkret in die Präsentation einer Ausstellung einzugreifen?

Leider gibt es im Museum noch keine Arbeitsteilung wie etwa beim Theater. Dort hat man die Regisseure auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite Dramaturgen, die die Texte bearbeiten, und Bühnenbildner. Dagegen ist im Museumswesen die Mischung aus vermittelnder Dramaturgie, Ausstellungsgestaltung und Ausstellungsregie relativ unterentwickelt.

Gibt es eine Konkurrenz zwischen Ihnen, dem Museumspädagogen, und den Kuratoren eines Museums?

Das Problem ist häufig, dass Kunstgeschichtler ganz grundsätzlich der Ansicht sind, dass ein Bild für sich selber spricht. Dabei wird übersehen, dass ein Bild nur existiert, solange es sich den Menschen mitteilt. Wenn der Rezipient ein Bild nicht mehr versteht, ist es verloren. Man muss auf vielfältige Art vermitteln, was das Besondere eines Gemäldes in seiner Zeit gewesen ist. Mit dem Computer können Sie zum Beispiel eine Art Zeitreise inszenieren und Beziehungen herstellen zu all den anderen Bildern, die aus einer bestimmten Landschaft kommen. Das Gleiche gilt für das gesprochene Wort, die Literatur der jeweiligen Zeit, für die Quellentexte.

In der Berliner Gemäldegalerie hat man es mit einer digitalen Galerie versucht, einem multimedial unterstützten Museum. Ist das gelungen?

Wir haben feststellen müssen, dass es nicht reicht, ein Bild von Breughel wie einen Trickfilm zu animieren. Wenn man die multimedialen Möglichkeiten wirklich genutzt hätte, könnten die Museumsbesucher beispielsweise Informationen abrufen, die verständlich machen, in welchem architektonischen Zusammenhang die Gemälde, die wir zeigen, früher gehangen haben.

Ein Spaziergang im Netz?

Ja, dann könnten die Besucher diese Orte virtuell aufsuchen. Mit dem Computer hätte man wunderbar rekonstruieren können, wo die Bilder gehangen haben und wie das räumlich gedacht gewesen ist. Man muss natürlich auch etwas erfahren zum Beispiel über den Geist der Renaissance, der sich nicht nur in Gemälden niederschlägt. Bilder sind ein wesentliches Zeugnis für den Umbruch, der im 15. Jahrhundert stattfand. Dieser Umbruch hatte auch Auswirkungen auf das Sozialwesen, die Ökonomie, die damit verbundene Veränderung der Landschaft, des Städtewesens, des Städtebaus.

Wenn sich die Besucher in Zukunft alles von zu Hause betrachten können, werden sie dann noch ins Museum gehen?

Ich glaube schon. In einer digitalen Galerie muss eigentlich kein einziges Gemälde auf dem Bildschirmen zu sehen sein – die Originale hängen ja nur einen Raum weiter in der echten. Man braucht die Nähe zum Original. Sonst verschenkt man zu viel. Interview: Ulrich Clewing