■ Der Kosovo-Krieg und die Folgen (8): Europa sollte statt auf High-Tech-Aufrüstung auf zivile Interventionskräfte setzen
: Richtige Diskussion – falsche Schlüsse

Administrative und rechtliche Funktionen können nur Zivilisten übernehmen

In den letzten zehn Jahren haben die USA die europäischen Länder immer wieder aufgefordert, militärische High-Tech-Ausrüstung anzuschaffen. Dies würde die technologischen Lücken schließen, die heute angeblich verhindern, dass die Europäer sich stärker an Sicherheitsoperationen beteiligen. Die Kosovo-Krise hat Intensität und Häufigkeit solcher Forderungen verstärkt. So stellte vor kurzem US-Senator Jon Kyl aus Arizona fest, die verbündeten Streitkräfte seien „jetzt in entscheidenden neuen Technologien nicht mehr nur eine, sondern zwei Generationen hinter den amerikanischen Streitkräften zurück“.

Tatsächlich besteht auf keiner Seite des Atlantiks ein Zweifel daran, dass die Europäer mehr Verantwortung für die internationale und regionale Sicherheit übernehmen müssen. Das gilt vor allem in Regionen, die ihnen so nahe sind wie Südosteuropa. Wenn sie dabei jedoch dem Argument Kyls folgen, dann bedeutet die Übernahme von mehr Verantwortung automatisch erhöhte Verteidigungsausgaben und den Kauf amerikanischer Waffensysteme. Diese Forderung ignoriert grundlegende europäische Entscheidungen über die Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit und vermag das Bündnis nicht einer wirksamen Auseinandersetzung mit seiner größten Bedrohung näher zu bringen: dem Konflikt zwischen einzelnen Staaten. Wenn die EU ihr Image als militärischer „Zwerg“ loswerden, große Steigerungen der Verteidigungsausgaben vermeiden, zugleich den Unilateralismus der USA bremsen und die wahren Bedrohungen für ihre Sicherheit angehen will, dann sollte sie in die Schaffung ziviler Interventionseinheiten investieren.

Kosovo hat deutlich gezeigt, dass präzisionsgeleitete militärische Systeme überaus grobe Instrumente für den Umgang mit ethnischen Spannungen, der Förderung der Demokratisierung und der Anerkennung der Menschenrechte sind. Die Vielfalt der zivilen, rechtlichen, sozialen und militärischen Pflichten, die der KFOR seit dem Ende der Bombenangriffe aufgebürdet wurde, ist überwältigend und lässt die Nato schwerfällig erscheinen. Die Truppen des Bündnisses haben große Schwierigkeiten, den Plünderungen und Morden im Kosovo ein Ende zu machen. Gewöhnliche Serben und Roma verlassen das Kosovo in Scharen – nicht nur weil sie die Nato und die zurückkehrenden Albaner als Feinde betrachten, sondern weil sie kein Vertrauen in die Fähigkeit der Nato haben, Polizeifunktionen auszuüben.

Dabei ist das keine neue Aufgabe – seit Jahren stehen internationale „Peacekeeper“ in Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Teilen des südlichen Afrika ähnlichen Problemen gegenüber. Die internationale Gemeinschaft hat offenbar noch immer nicht begriffen, dass viele der in diesen Regionen anstehenden Aufgaben für eine militärische Streitmacht einfach nicht die richtigen sind. Die Welt kann nicht von Berufssoldaten erwarten, dass sie administrative und rechtliche Funktionen übernehmen, während sie zugleich mit Bevölkerungsbewegungen, Minenräumung und Hilfsgüter-Verteilung fertig werden müssen.

Auch „sanfteren“ Sicherheitskörperschaften wie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist es nicht gelungen, den Sicherheitsbedürfnissen im Kosovo gerecht zu werden. In Reaktion auf die UN-Resolutionen 1160 und 1199 vom 23. 9. 1998 bildete die OSZE die „Kosovo Verification Mission“ KVM. Ihr Vorbild war die Überwachungsmission der Europäischen Kommission ECMM, die seit 1991 in Ex-Jugoslawien tätig ist. Das KVM-Mandat war jedoch breiter gefasst und erstreckt sich auch auf die Überwachung von Wahlen, die Überprüfung der Verpflichtungen aus Waffenstillständen und die Lieferung unvoreingenommener Informationen über den Konflikt zwischen der Kosovo-Befreiungsarmee und serbischen Kräften. Ihr Einsatz sollte also für bessere Informationen sorgen, auf deren Grundlage politische Entscheidungen möglich werden sollten; außerdem sollte die KVM den jugoslawischen Behörden das Engagement der internationalen Gemeinschaft in dem Konflikt verdeutlichen.

Die langsame und zögernde Art, in der die OSZE-Mitgliedsstaaten Personal für die KVM zur Verfügung stellten, untergrub jedoch diese zweite Funktion. Anfang dieses Jahres, volle drei Monate nach der UN-Resolution, waren von den vorgesehenen 2.000 Beobachtern gerade mal 600 im Einsatz. Trotzdem konnte die KVM durch ihre bloße Anwesenheit und ihr Verhandlungsgeschick einige Erfolge verzeichnen. Als die Bedingungen im Kosovo sich von einem unsicheren Waffenstillstand zum offenen Konflikt entwickelten, musste sie sich aus dem Kosovo zurückziehen.

Die Lehren aus der KVM werden in Zukunft für die Entwicklung nichtmilitärischer Interventionsstrategien von Nutzen sein. Vor allem zeigt die Mission, dass Beobachter besser ausgebildet, früher eingesetzt und von den entsendenden Regierungen besser unterstützt werden müssen. Würde man den gegenwärtigen Verteidigungsschwung der EU nutzen, um derartige zivile Interventionseinheiten zu schaffen, ließe sich die Kluft zwischen der militärischen Macht der Nato und erfahrenen, aber schlecht unterstützten Sicherheitsorganisationen wie der OSZE schließen. Das würde es auch den europäischen Staaten erlauben weiterzuführen, was sie seit langem für das bestimmende Sicherheitserfordernis des 21. Jahrhunderts halten: die Stärkung ihrer nichtmilitärischen Fähigkeiten.

Zivile Interventionseinheiten sollten die Last der Aufgaben der „sanften Sicherheit“ auf sich nehmen – und es den militärischen Kräften ermöglichen, sich auf militärische Aufgaben zu konzentrieren. Wenn ihr Personal in der Überwachung der Garantie der Menschenrechte, in ziviler Verwaltung, Polizeiaufgaben, Konfliktlösung, Wahlüberwachung, Medienbeobachtung und der Kenntnis der örtlichen Sprachen ausgebildet würde, dann könnten diese Einheiten ständig in Bereitschaft gehalten werden. Wie bei ihren militärischen Gegenübern von der Schnellen Eingreiftruppe wäre ihr schneller Einsatz ein wichtiger Teil ihrer Effektivität.

Für viele der anstehenden Aufgaben im Kosovo ist das Militär einfach ungeeignet

Das würde das Risiko mindern, dass – wie derzeit im Kosovo – ein Machtvakuum entsteht, und die schnelle Umsetzung einer demokratischen Politik und die Rechtssicherheit fördern. Und wenn die EU sich bereit fände, diese Einheiten zu organisieren und zu finanzieren und der OSZE die Verantwortung für ihre Ausbildung zu übertragen, könnten diese beiden Organisationen beträchtlich gestärkt werden. Damit wären endlich angemessene Werkzeuge für die politische Beilegung, praktische Umsetzung und endgültige Lösung zukünftiger Krisen geschaffen. J. Smith, T. McDonald

Übersetzung: Meino Bünning