10.000 Opfer des Erdbebens werden immer noch vermisst

■  Das wahre Ausmaß der Katastrophe in der Türkei wird erst langsam sichtbar. Die Behörden sprechen inzwischen von 3.700 Toten und 17.800 Verletzten

Istanbul/Berlin (taz/AFP/dpa) – Zwei Tage nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei steigt die Zahl der Opfer weiter dramatisch an. Die türkischen Behörden vermeldeten gestern fast 3.700 Tote, am Vortag war noch von 1.000 die Rede gewesen. 17.800 Menschen wurden demnach bei dem Beben in der Nacht zu Dienstag verletzt, etwa 10.000 wurden gestern noch vermisst.

Helfer aus Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Israel, Japan, Russland und den USA sind bei der Bergung und Versorgung Verschütteter im Einsatz. Die EU-Kommission beteiligt sich mit 3,9 Millionen Mark an der Hilfe. Das deutsche Auswärtige Amt stockte seine Soforthilfe gestern um weitere 200.000 auf 1,2 Millionen Mark auf. In der Türkei sind inzwischen Teams des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), des Technischen Hilfswerkes (THW), der Johanniter-Unfallhilfe, der Caritas und des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) im Einsatz. Caritas und Diakonisches Werk stellten gemeinsam 400.000 Mark bereit. Das DRK rief zu Blutspenden auf. Die 2.000 am Dienstag in das Katastrophengebiet geflogenen Flaschen des Bluteiweißpräparates Humanalbumin seien bereits verbraucht. Medico international will heute eine Gruppe Helfer in die am schwersten betroffene Industriestadt Izmit schicken.

Das wahre Ausmaß der Katastrophe wird nur langsam deutlich. Die Welle der Zerstörung reicht von Istanbul bis in das 130 Kilometer südöstlich gelegene Gölcük. Im am nächsten zum Epizentrum des Bebens gelegenen Izmit kamen mindestens 800 Menschen ums Leben. Gestern umzingelten Flammen die Erdölraffinerie der Stadt, die größte des Landes. Laut der Nachrichtenagentur Anadolu brannten am Abend sieben der insgesamt 30 Öltanks. Feuerwehrleute waren nicht in der Lage, die Flammen unter Kontrolle zu bringen. Französische und israelische Spezialisten brachten Chemikalien vor Ort, um die Flammen zu ersticken. Ebenfalls im Einsatz waren deutsche und französische Löschflugzeuge, die sich bereits im Kampf gegen die brennenden kuwaitischen Ölfelder nach dem zweiten Golfkrieg bewährt hatten.

Die Arbeiter der Raffinerie und die Anwohner wurden evakuiert. Beobachter fürchteten, dass die Flammen auch auf eine nahe gelegene Düngemittelfabrik übergreifen könnten. Der Provinzgouverneur Memduh Oguz sorgte sich, dass die Brände sich weiter ausweiten und so eine neue Katastrophe auslösen könnten. Völlig unklar ist noch der Umfang der Folgeschäden des Bebens. Die betroffene Region ist das wirtschaftliche Zentrum der Türkei. Inzwischen sieht es dort aus wie nach einem Krieg.

Die türkischen Medien machten gestern Politiker und Bauherren für das Ausmaß des Unglücks verantwortlich. „Nicht das Erdbeben, sondern schlechte Häuser töten“, zitierte Milliyet ein Mitglied der türkischen Architektenkammer und verwies auf die laxe Vergabe von Baugenehmigungen oder den gänzlichen Mangel derselben. An die politisch Verantwortlichen gerichtet, titelte die sonst penetrant staatstragende Hürriyet schlicht: „Mörder“.

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sind unter den Todesopfern auch zwei Deutsche. Einer von ihnen sei ein ehemaliger Bonner Kommunalpolitiker, der sich während des Bebens in Izmit aufgehalten habe. Vier weitere Deutsche sollen verschüttet sein. taud

Tagesthema Seite 3