Archäologie der NS-Zeit

Ein Jugend-Workcamp auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme entdeckt Spuren von Werkstätten früherer Rüstungsbetriebe  ■ Von Elke Spanner

Die rot-weiße Absperrung mißachtend steigt Ina Rosentreter in die Baugrube hinab. Sie zieht die Plastikplane zur Seite, die den Boden bedeckt. Der Regen der vergangenen Nacht tröpfelt auf das Fundament. „Hinten Estrich, davor Steine, und hier ist schon wieder Sandboden“. Die Teamerin des Jugend-Workcamps weist auf die freigelegte Fläche und resümiert: „Hier stand die Baracke.“

Wie übriggeblieben liegt die Rasenfläche zwischen dem Parkplatz des Gefängnisses Neuengamme und der Anstalt selbst. Als hätte man vergessen, sie bei der Bebauung des ehemaligen KZ-Geländes einem Zweck zuzuführen. Unter der Grasnarbe haben TeilnehmerInnen des diesjährigen Workcamps Spuren ehemaliger KZ-Werkstätten aufgedeckt.

15 Jugendliche aus acht Ländern haben für zwei Wochen ihre Zelte auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers aufgebaut. Aus Tschechien, Ungarn, China, den USA, der Ukraine, Rußland und Österreich angereist, arbeiten sie in drei Arbeitsgruppen zur Geschichte des Lagers in Neuengamme. Eine Gruppe gräbt mit Schaufel und Spachtel nach Fundamenten der ehemaligen Rüstungsbetriebe Messap und Jastram. Eine weitere baut Möbel für eine Jugendbegegnungsstätte, die in einem Raum des ehemaligen Klinkerwerkes eröffnet werden soll. Im Klinkerwerk wird außerdem ein Schauarchiv eingerichtet. Originalgegenstände aus der Lagerzeit sollen dort ausgestellt werden, die für ein Museum zu groß wären und ohnehin in Neuengamme verbleiben sollen.

Dass die Ausgra-bungsgruppe tatsächlich Mauerreste ehemaliger Rüstungsbetriebe freilegen konnte, ist Zufall. Ehe sie zum Spaten griffen, wussten die TeilnehmerInnen zwar, dass sich hier früher Werkshallen der Rüstungsbetriebe Jastram und Messap befunden haben. Das geht aus alten Unterlagen hervor, zuletzt aus dem Plan eines Architekten aus dem Jahr 1991, der aufzeichnete, wo er das Fundament früherer Baracken vermutete. Der Plan jedoch, so Rosentreter, „ist nicht richtig zu gebrauchen“. Die dort eingezeichneten Proportionen der Gebäude passen nicht zueinander. Erneut steigt Rosentreter in die Grube hinab. Sie weist auf rote Klinkersteine, die wenige Zentimeter aus dem Boden ragen. „Die Mauer verläuft schräg“, sagt sie. „Wir hatten erwartet, ein Gebäude rechtwinklig zur Straße zu finden.“

Drei Baustellen sind mit rot-weißem Plastikband kenntlich gemacht. Die Pfeiler der früheren Zufahrt zu den Werkshallen sind bloßgelegt, „plötzlich blinkte dort etwas Rotes, und wir haben angefangen zu graben.“ Zwei Gruben wurden ausgehoben. Eine Archäologin, die das Workcamp mit betreut, konnte am Geröll die Geschichte ablesen: Die Steine deuten die Mauern der damaligen Baracken an, dahinter liegt eine Schicht Estrich, „ein sehr harter Boden“, so Rosentreter, „den hat man in Werkshallen gelegt, weil man da schwere Maschinen draufstellen konnte“. Die Firma Jastrap hat in Neuengamme früher Motoren hergestellt, vor allem für U-Boote. Bei Messap wurden Zünder für Granaten produziert.

In einer Halle des Klinkerwerks, in der am Sonntag das künftige Schauarchiv präsentiert werden soll, liegen große, steinerne Kübel. Mit Stiefmütterchen hatte man sie nach dem Krieg bepflanzt und zur Zierde rund um das Gefängnis auf dem ehemaligen KZ-Gelände aufgestellt. Bis HistorikerInnen anhand alter Fotos belegen konnten, dass die Kübel im Lager die Waschbecken der Häftlinge waren. „Es gibt zahlreiche Nachnutzungen“, erläutert Museumspädagoge Frank Jürgensen. Er zeigt eine uralte, rostige Lampenfassung mit einer fast neuen Glühbirne. Alte Schienenstränge liegen auf dem Boden. Ein Großküchen-Dampfkochtopf mit der Altdeutschen Aufschrift „Voss“. Eine Maschine von Jastram, mit einer Blechschere auf der einen, einer Stanzvorrichtung auf der anderen Seite.

Als kürzlich ein Schuppen abgerissen wurde, den man in den 60er Jahren auf dem KZ-Gelände errichtet hatte, fand Jürgensen einen alten, rostigen Ofen. Er zieht die Kopie eines Fotos aus der Tasche. Es zeigt Häftlinge in der Werkshalle von Jastram. Vor ihnen steht ein Ofen. Jürgensen blickt vom Bild auf sein Fundstück und zurück. „Das könnte er sein.“

Am Sonntag werden die Teilnehmer des Workcamps ihre Ergebnisse präsentieren. Ihre Funde werden in Plänen verzeichnet. Besichtigen wird man die Mauerfunde nicht können. Die Gefängnisleitung hat verlangt, dass die Baugruben wieder zugeschüttet werden.