Noch ein amerikanischer Alptraum

■ Der Tagelöhner Heinrich Brandes wollte weg. Er ist 1853 nach Amerika ausgewandert. Dort wurde er erst Farmer und dann Soldat. Ein neues, in der Edition Temmen erschienenes Buch erzählt seine erschütternde Lebensgeschichte

Eigentlich war Heinrich Brandes gewarnt. „Bleibe im Lande und nähre dich redlich!“ hatte ihm und Tausenden von anderen der „Verwaltungsrath des Central-Vereins für die deutsche Auswanderungs- und Colonisations-Angelegenheit“ empfohlen. Doch Heinrich Brandes wollte nicht bleiben. Der 33-jährige Tagelöhner aus Ochtrup im Münsterland wollte stattdessen einen american dream erleben und ging 1853 als einer von rund 140.000 deutschen Auswanderern an Bord eines Schiffes mit dem Ziel USA. Doch aus dem Traum sollte ein amerikanischer Alptraum werden. Zehn Jahre später – kurz vor der geplanten Rückkehr nach Ochtrup – starb der inzwischen verheiratete Vater dreier Kinder als Soldat der „Nordstaatler“ im US-amerikanischen Bürgerkrieg.

Antonius Holtmann hat seine Geschichte jetzt aufgeschrieben. Unter dem Titel „Für Gans America Gehe ich nich Wieder Bei die Solldaten“ zeichnet der Oldenburger Migrationsforscher das Leben des Auswanderers Heinrich Brandes nach. Gestützt auf Feldpostbriefe aus dem Nachlass der Familie entwirft der Herausgeber Holtmann in seinem zweiten Band mit Briefeditionen am Einzelfall das große Bild. Trotz einer oft recht zahlenverliebten und trockenen Wissenschaftler-Sprache tritt dieser Heinrich Brandes einem beim Lesen bald vor Augen. Die Geschichte dieses kleinen Lebens mausert sich zu einer Materialsammlung für eine große amerikanische Tragödie.

Über Brandes' Motive zur Auswanderung ist nicht allzu viel bekannt. Das ärmliche Tagelöhner-Dasein, schlechte Ernten in der Mitte des 19. Jahrhunderts sowie alles andere als rosige Zukunftsperspektiven im Oldenburger Münsterland werden – wie bei vielen anderen deutschen „Wirtschaftsflüchtlingen“ – den Ausschlag gegeben haben. Fast minutiös beschreibt Holtmann die Lebensbedingungen seines tragischen Helden – zunächst in Ochtrup und später in Oldenburg/Indiana, wo er als Pächter einer Farm offenbar ein besseres Auskommen hatte als in seiner alten Heimat.

Es bleibt deshalb unklar, warum Brandes vorzeitig aus dem Pachtvertrag ausstieg. Auch die Motive, sich der Armee anzuschließen und in den Bürgerkrieg zu ziehen, sind nicht restlos aufgeklärt. Aber es ist gerade dieses Rätselhafte und Geheimnisvolle, was die Tragödie stärker zu Tage treten lässt. Es muss die Aussicht auf ein paar Dollar mehr gewesen sein, die Brandes dazu bewog, Soldat zu werden. In Vertretung – als Substitute – für einen 20 Jahre jüngeren schwor er den Eid auf die Vereinigten (Nord-) Staaten.

Der von Seiten der Nordstaatler, den Unionisten, vordergründig für das Ende der Sklaverei geführte Krieg hatte für einen Soldaten „ganz unten“ nichts Heroisches oder Idealistisches an sich. In wohl zwei Dutzend erhaltenen Briefen schreibt Heinrich Brandes auf Deutsch an seine „Liebe frau“ und deutet die Schrecken des Krieges an. Brandes, der seine Monate als Soldat unter elendsten Umständen bei der Belagerung des Mississippi-Städtchens Vicksburg zubringen musste, scheint mit jedem Brief mehr den Glauben daran zu verlieren, „gesunt“ aus seinem „Kummer und elent“ herauszukommen.

Antonius Holtmann dokumentiert die Briefe vollständig und erläutert in Fußnoten die Hintergründe des Bürgerkrieges und die Beteiligung von Brandes' Regiment. Auf der einen Seite steht so die nüchterne Chronologie eines Krieges, dessen Strategen selbst in ihren später verfassten Lebenserinnerungen von Zynismus erfüllt sind und die Lage der Soldaten beschönigen.

Auf der anderen Seite stehen die so unbeholfen wie ehrlich formulierten Briefe des Soldaten Heinrich Brandes, dem monatelang nicht mal der Sold ausgezahlt wurde und der mit ansehen musste, wie „Wier Herunter geschosen Worden als wen Man graß mähet“. Aus diesem Widerspruch entsteht eine rührende Geschichte, die über ihr Thema Auswanderung und US-Bürgerkrieg weit hinausstrahlt.

Christoph Köster

Antonius Holtmann (Hrsg.): „Für Gans America Gehe ich nich Wieder Bei die Solldaten – Briefe des Ochtruper Auwanderers Theodor Heinrich Brandes aus dem amerikanischen Bürgerkrieg 1862/63“; Bremen: Edition Temmen, 1999; 36 Mark