Über die Hohe Kunst der nicht sinngebundenen Beleidigung. Ein Seminar    ■ Von Wiglaf Droste

„Nicht denken – fluchen!“ ist der Leitspruch der Heimwerkersorte Mensch. Wenn so ein Bastler, wahlweise in Latzhosen oder im graublauen Kittel, in seinem Keller oder seiner Garage steht, hält man sich besser von ihm fern. Aus sicherer Deckung heraus kann man ihn beobachten, wie er da herummochelt. „Ich hatte da doch noch so ein schönes Muffenstück“, kann man ihn sagen hören, aber meistens nörgelt und knörmelt er vor sich hin, das Werkzeug „taugt nicht“ und das Material, das er im „Bauhaus“-, im „Obi“- oder in einem ähnlichen Amateurverbrechermarkt zusammengerakt hat, sowieso nicht. Wenn er einen Nagel nicht in die Wand bekommt, ächzt er „Rein musst du, und wenn wir beide weinen“ – ein Satz, der interessante, wenn auch nicht unbedingt erfreuliche Einblicke gewährt in das Privat- und Intimleben des notorisch von Unrast und Ruhelosigkeit getriebenen Heimwerkers. Sein Leib- und Magenfluch aber ist und bleibt das eher einfallslose „Scheiße!“, und mit der Vorsilbe „Scheiß-“ überzieht er alle Gerätschaften, die ihm unter die unegalen Finger kommen.

Dabei hat die Scheiße, wie Hans Magnus Enzensberger in seinem gleichnamigen Gedicht bemerkte, etwas eigentümlich Sanftes, Nachgiebiges, Gewaltloses und Friedfertiges an sich; jemanden als Scheiße zu bezeichnen, kann daher einen untertreibenden Zug und damit beinahe schon wieder etwas Elegantes bekommen. Man muss aber vorsichtig damit umgehen. Als ich einmal die von Fanny Müller gelernte Generalvokabel „Scheiße in Menschengestalt“ in einem privaten Brief und wohlbegründet zur Anwendung brachte, lief der Adressat damit zu seinem Anwalt, der sogleich ein paar Briefbögen füllte und die Staatsanwaltschaft mit der Sache behelligte. Es kostete eine vierstellige Summe, um diese Verneinung eines Rechtspflegers zu stoppen. Das Recht ist in solchen Fällen auf der Seite von Leuten, für die man sich andere Schimpfwörter ausdenken muss – „Ehrenmann“ zum Beispiel.

Auch „Napfsülze“ ist sehr hübsch, und das westfälisch-masemattesche „Hacho“ zeigt ebenfalls immer wieder Wirkung. Die Frage „Was bist du denn für'n Hacho?“ versetzt die meisten Angesprochenen in den erwünschten Aggregatzustand: Sie halten den Schnabel und grübeln verzweifelt darüber nach, ob sie jetzt beleidigt sein müssen. Ähnliche Effekte lassen sich mit den – gleichwohl freundlichen – Invektiven „Tünsel“ und „Dölmer“ erzielen.

Ausgedient haben die Anwürfe „Weichei“ und „Warmduscher“, die längst Einzug gefunden haben in die Neue Mitte. Als „Weicheier“ und „Warmduscher“ werden Leute denunziert, die sympathischerweise nicht bereit sind, anderen für einen Arbeitsplatz das Gesicht einzutreten. Asoziale und bundeswehrsoldatige Existenzen dürfen ihre beiden Lieblingswörter aber gerne weiter benutzen.

Für mein Schimpfwort Nummer 1 möchte ich mich bei Henning Harnisch bedanken: „Schattenparker!“ Was für eine Kraft, was für ein Groove: „Schattenparker“. Man kann es pausenlos sagen, zu allem und jedem: „Schattenparker!“ Was es bedeutet? Egal. Die nicht sinngebundene Beleidigung, das weiß man seit Käpt'n Haddock, trifft am besten. „Ha, Schurke, nimm das: Schattenparker!“