Wenn der Schnäpel kommt

■ Bagger statt Natur: In Schleswig-Holstein und Dänemark wird den Nordseeschnäpel wieder angesiedelt, doch Niedersachsen baut ihm das Emssperrwerk vor die Nase

In Dänemark wird er liebevoll gehegt und gepflegt. In Schleswig-Holstein ist er in den letzten Jahren erfolgreich angesiedelt worden. Für dieses Jahr hat ihn der Verband Deutscher Sportfischer sogar zum Fisch des Jahres ausgelobt. In Niedersachsen dagegen bekommt der Nordseeschnäpel (siehe nebenstehenden Kasten) keine Chance: Obwohl die Ems als potentielle Ansiedlungsregion untersucht wurde, müssen Schnäpel draußenbleiben. Stattdessen bekommt er das umstrittene Sperrwerk vor die Nase gesetzt. Sein Weg aus dem Wattenmeer zu möglichen Laichplätzen wird abgeschnitten.

Damit, so befürchten Umweltschützer, wird der Ems entgültig die Luft abgedreht. Dabei hatte das Land Niedersachsen vor einigen Jahren statt der Exekution des Flusses Renaturierungsmaßnahmen geplant. Dazu gehörte auch eine Untersuchung zur Wiederansiedlung dieses ehemals sich in der Ems tummelnden Nordseeschnäpels.

Ohnehin ist der Fisch eine arme Sau. Einige Wissenschaftler streiten die Existenz dieses lachsähnlichen Wanderers rundweg ab. Gegenüber seinem nahen Verwandten, dem Lachs, wirkt er weniger spektakulär. Wiederansiedlungen für Lachse sind für viele Institutionen attraktiver. Die Planer des umstrittenen Emssperrwerkes bei Gandersum in Ostfriesland machten aus der armen Fettflosse gar eine Lachnummer. Damit hat der Sperrwerksbau dem Fisch zumindest kurzeitig zu einiger – zweifelhafter – Popularität verholfen.

Gäbe es den Nordseeschnäpel tatsächlich in der Ems, so hofften Sperrwerksgegner, könnte der Europäische Gerichtshof den Bau des Sperrwerkes verbieten. Denn der Schnäpel gilt als prioritäre Art, ist streng geschützt und darf in seinem Lebensraum nicht beeinträchtigt werden. Gibt es ihn also oder gibt es ihn nicht in der Ems? (vgl. taz vom 19.4.99) Michael Kämmereit vom Niedersächsischen Landesamt für Ökologie stellt ein für alle mal klar: „Wir gehen davon aus, dass es keine überlebensfähige Population des Nordseeschnäpels in der Ems gibt. Vielleicht verirrt sich ab und an mal einer aus Dänemark in die Ems.“ Die zuständige europäische Behörde hat schon signalisiert, dass sie dies ähnlich sieht und ihrer Meinung nach keine prioritäre Tierart durch den Bau des Sperrwerkes gefährdet ist.

Die Freude der Sperrwerksplaner darüber war so groß, dass sie im Internet einen Brief von Tassilo Jäger-Kleinicke veröffentlichten. Jäger-Kleinicke ist Deutschlands einziger Schnäpeleierzüchter. Der WWF-Bremen, so schrieb der Fischmann an das Sperrwerkteam, hätte bei ihm Jungfische kaufen wollen, um sie in der Ems auszusetzen. Mit diesem „Schnäpelvorkommen“ hätte der WWF möglicherweise erfolgreich in Brüssel gegen den Sperrwerkbau klagen können. „Heimtücke“, riefen Sperrwerksbefürworter. „Lüge“, schimpft Beate Claus vom WWF. „Wir haben 1998 ganz offen eine Wiederansiedlung beim Fischereiamt in Bremerhaven beantragt. Um nicht in Verruf zu kommen, haben wir die Wiederansiedlung aber abgeblasen“, so Claus.

Pikanterweise schlug Schnäpelzüchter Jäger-Kleinicke den Sperrwerksplanern einen Schnäpeldeal vor. Da er in Absprache mit den Sperrwerksbauern keine Schnäpel an Umweltschützer rausrücken sollte, erwartete er im Gegenzug Unterstützung bei seinem Versucht, den Fisch großflächig in Niedersachsen anzusiedeln.

Untergegangen ist bei diesem Rummel, dass bereits 1994 die Nationalparkverwaltung niedersächsisches Wattenmeer selbst eine Studie über die Wiederansiedlungsmöglichkeit in niedersächsischen Gewässern erstellen ließ. Verschwiegen wurde ebenfalls, dass es umfangreiche Projekte zur Wiederansiedlung des Fisches in Deutschland gibt. Nur von der Ems als potentieller Schnäpelheimat spricht niemand mehr. Michael Kämmereit vom Niedersächsischen Landesamt für Ökologie: „Für den Bereich Ems sind bislang keine Fischaussetzungen geplant.“

Der Bremer Diplom-Biologe Hans Joachim Scheffel hat seiner - zeit die Untersuchung für die Wiederansiedlung des Schnäpels in Niedersachsen im Auftrag der niedersächsischen Nationalparkverwaltung durchgeführt. Darin weist er die Emsregion durchaus als Wiederansiedlungsgebiet aus. Grundvoraussetzungen sind eine kontinuierliche Verbesserung der Wasserqualität und eine Einschränkung der Baumaßnahmen für die Schifffahrt. In Flusshindernisse wie Schleusen oder Siele, so Scheffel in seiner Untersuchung, müssten Fischtreppen eingebaut werden. An ein Emssperrwerk für den Küstenschutz und zur Überführung großer Passagierdampfer durch die Papenburger Meyerwerft dachte 1994 niemand. Bevorzugt schlägt Scheffel das Leda-Jümme als neue Schnäpelbrutstätte vor, beides sind Zuflüsse zur Ems bei Leer. Ein Sperrwerk würde just zur Laichzeit im Spätherbst den Wanderweg der Fische aus dem Wattenmeer in die Ems abschneiden. „Ein Sperrwerk würde das Leben des Nordseeschnäpels sicher nicht erleichtern“, meint Scheffel gegenüber der taz.

„Der Fisch ist lange einfach vergessen worden. In der Roten Liste der gefährdeten Tierarten ist er sogar als ausgestorben angegeben“, erklärt Scheffel. Bis zum Anfang dieses Jahrhunderts galt der Schnäpel als äußerst attraktiver Speisefisch. Viele Flussfischer lebten von seinem Fang. Immerhin wurden vor hundert Jahren über 30.000 Kilo Schnäpel aus Rhein, Weser, Ems und Eider gezogen.

Vor der Jahrhundertwende, lange vor der radikalen Schiffbarmachung der Ems, war der Fluss ein echtes El Dorado für Fischer. Der Stör wurde massenhaft gefangen. Sein Fleisch und Kaviar waren eine Alltagsspeise. Landarbeiter ließen extra in Arbeitsverträgen festhalten, dass sie nicht nur Stör essen müssten, sondern Recht auf ein ordentliches Schnitzel hätten.

Der letzte Schnäpel der Ems wurde 1970 aus Emden gemeldet. Seitdem war es still um Coregonus oxyrhychus, so sein lateinischer Name, geworden. Nachdem in den 80er Jahren im dänisch-deutschen Grenzflüsschen Wiedau allerdings eine größere vitale Schnäpelpopulation entdeckt worden war, siedelte Dänemark den Fisch wieder systhematisch in den der Nordsee zufließenden Flüssen an. Von da wanderte er natürlich auch die deutsche Küste entlang.

„Ich glaube, auf Druck der Dänen sind ähnliche Programme in Deutschland angeschoben worden“, sagt Scheffel. So sind beispielsweise in Niedersachsen in einigen Elbzuflüssen und in der Delme Schnäpel angesiedelt worden. Diese Projekte werden von der Stadt Hamburg bezahlt. Schleswig-Holstein hat in Zusammenarbeit mit dem Verband Deutscher Sportfischer seit 1988 in Treene, Wilster Au und Osterau über mehrere Jahre Nordseeschnäpel ausgesetzt. Mit Erfolg, wie der Sportfischerverband schreibt. Hier hat sich der Fisch wieder festgesetzt.

Wie unbegründet die Angst der ostfriesischen Sperrwerksplaner vor einem heimlichen Aussetzen des Schnäpels war, erklärt Biologe Scheffel: „Die Wiederansiedlung des Schnäpels ist aufwendig und teuer. Ein einmaliger Aussatz bringt gar nichts. Da verschwinden die Fische schnell wieder. Eine Ansiedlung dauert Jahre.“

Grundlage für eine Wiederansiedlung des Schnäpels ist eine sorgsame Rekultivierung der Flüsse. Der Schnäpel ist zwar ein robuster Bursche, trotzdem fühlt er sich in einem naturnahen Fluß wohler als in einer kanalisierten Bundeswasserstraße. Sowohl zur Wiederansiedlung und zum Schutz bedrohter Tierarten als auch zum Schutz naturnaher Räume ist die Bundesrepublik durch die FFH-Richtlinie der Europäischen Union als auch durch die Vereinbarungen der Trilateralen Nordseekonfernz (Dänemark, Niederlande und Deutschland) verpflichtet. Gerade in der Ems aber treffen die Belange des Naturschutzes und ökonomisch bedingter Flußausbau hart aufeinander. Der Schnäpel, so argumentieren Naturschützer, sei nicht einfach ein exotisches Fischchen. Der Schnäpel gilt neben anderem als Gütezeichen für den ökologischen Zustand seines Umfeldes. Sein Verschwinden wird somit als Alarmzeichen gewertet. Statt die Ems zurückzubauen, neue Naturareale zu schaffen und langfristig alternativen Hochwasserschutz zu praktizieren, werde der Fluß durch den Bau eines Sperrwerkes erdrosselt, so die grundsätzliche Befürchtung der Sperrwerksgegner. Damit wäre das Schicksal der Ems endgültig besiegelt und die Zukunft des Nordseeschnäpels in diesem Raum gleich mit.

Thomas Schumacher