Spuren im Granit

■ Ludwig Hauser stellt seine Grabsteinkunst als „Rosinenbomber und andere Randerscheinungen“ auf dem Matthäusfriedhof aus

Es ist nur zu begrüßen, wenn Künstler nach neuen Wegen außerhalb der Vermarktungsmaschine Galerie/Kunstmesse suchen. Aber wie findet man sein Publikum, wenn die Ausstellungen zumeist in Wohnungsgalerien, Ateliers oder versteckt im Außenraum stattfinden? Und kann jemand ernsthaft einer Arbeit nachgehen, ohne vorher genau zu wissen, welcher „Zielgruppe“ dieses Tun nützlich sein könnte?

Eine merkwürdige Mischung aus Event und Ewigkeit hat es kürzlich zur Ausstellungseröffnung von „Rosinenbomber und andere Randerscheinungen“ auf dem Matthäuskirchhof in Schöneberg gegeben. Ein „DJ Yoogi“ spielte Schallplatten in der Kapelle und die Lichtkünstlerin Heike Maria bestückte das heilige Haus mit Neonlicht. Sie konnten damit den Abend in einen Rahmen heben, der dem Ort etwas von seiner Starre nahm. Aber auch die in Stein gehauenen Objekte sind nicht minder interessant.

Der Steinmetz Ludwig Hauser scheint von der Neuorientierung und Öffnung nach außen, die die Kirche allenthalben fordert, zu profitieren. Für drei Monate kann er seine Grabsteine auf dem Matthäuskirchhof präsentieren. Nun haben Kunstausstellungen auf einem Friedhof aber eine besondere Note: Die behördlichen Regelungen der Bestattungskultur sind für jedermann so festgeschrieben, dass sich Grabstätten unweigerlich am Gesamteindruck eines „Garnisonsfriedhofes“ orientieren. Hier spielt nicht nur die Größe und die Form eines Grabsteins eine Rolle – schlichtweg jede Überlegung, die das Umfeld einer Grabstätte kreativ verändern ließe, stößt an die Grenzen von Paragrafen. Das war nicht immer so. Festgelegt und gestrafft wurden diese Regelungen im Nationalsozialismus.

Auf dem Gelände gibt es zwei sehr unterschiedliche Werkblöcke von Hauser, die einen Einblick in den momentanen Stand der Grabgestaltung vermitteln. Technisch aufwendig verarbeitet, aber inhaltlich nur wenig reflektiert sind weiße Steine, die sich in einer Reihe formieren: geschmäcklerischer Kitsch. Ganz im Gegensatz dazu findet sich entlang dem Hauptweg die Reihe „Rosinenbomber und andere Randerscheinungen“. Die übermannshohen grauen Steine wirken zunächst naturbelassen. Erst auf den zweiten Blick sind feine Bearbeitungen zu erkennen, die sich als ein ganz präzises Heraus- bzw. Anschleifen bestimmter Stellen zeigen. Und hier werden auch die geschichtlichen Aspekte nachvollziehbar, die der Ausstellung innewohnen sollen.

Schon der Begriff „Granit“ hat symbolische Bedeutung. Der Architekt Albert Speer plante seinerzeit eine Prachtstraße, die den Matthäuskirchhof stark in Mitleidenschaft ziehen sollte. Es ist anzunehmen, dass diesem Unterfangen die Idee eines „neuen Menschen“ und die Konzeption einer neuen Stadt zu Grunde lagen – Orte der Besinnung hatten da gar keinen Platz. Nun zeigt der Künstler Hauser, ganz auf die Sinnlichkeit des spröden Gesteins reduziert, dass sich das menschliche Tun von den naturellen Gegebenheiten nur leiten lassen kann.

In gewisser Weise hat Hauser mit seiner Gegenüberstellung von Material, Funktion und Geschichte nicht Gräber, sondern Mahnmale geschaffen. Norman Lindner