Kraft durch Krisen

■  „Auf der Bühne ist ein Sarg Tabubruch“: Ein Gespräch mit dem malaysischen Performer Lee Swee Keong über asiatische Kulturformen und ihre europäischen Interpretationen

Der 31-jährige Tänzer, Choreograf und Performer Lee Swee Keong aus Kuala Lumpur zählt zur künstlerischen Avantgarde Malaysias. Derzeit ist er zu Gast beim „Festival der Geister“ im Tacheles, wo er seine Solo-Tanzperformance „The Coffin Of Rejuvenation“ zeigt.

taz: Im Mittelpunkt Ihrer Performance steht ein monströser Sarg, der in Kuala Lumpur für Furcht und Schrecken gesorgt haben soll. Wie kommt das?

Lee Swee Keong: Diese alten, wahnsinnig schweren Holzsärge verkörpern in der asiatischen, insbesondere in der chinesischen Kultur das Böse und Unheimliche schlechthin. Wenn so ein Exemplar über die Straße getragen wird, kriegen die Leute Angst, schließen die Fenster oder schauen schnell zur Seite. Schon auf dem Weg ins Theater mussten wir unseren Sarg deshalb sorgfältig verhüllen; und als er nach Deutschland verschifft werden sollte, war es schwierig, überhaupt Leute für den Transport zum Hafen zu organisieren. Auch auf der Bühne ist ein Sarg Tabubruch, Provokation.

Ich dachte, gerade in den asiatischen Ländern gehen die Menschen gelassener mit dem Tod um.

Vielleicht muss man Folgendes vorausschicken: Malaysia ist ein verhältnismäßig junges Land, in dem Menschen verschiedener Religionen und Ethnien zusammenleben. Es gibt also gleich mehrere religiöse Philosophien – Christentum, Buddhismus und Islam –, in denen der Tod nicht das Ende des Lebens bedeutet.

Aber in der Regel, vor allem in der Hektik und Anspannung des Großstadtalltags, schafft es kaum jemand, in dieses Denken wirklich einzudringen. Die Gruppe der Menschen, die überhaupt kein religiöses Leben führen, ist auch bei uns sehr groß. Und selbst dort, wo Rituale, Gebete, Tempelbesuche usw. den Alltag mitbestimmen, sind viele religiöse Handlungen völlig leer geworden. Die Leute fürchten sich vorm Sterben – und der Sarg symbolisiert den Tod und die Angst vor ihm.

Und Sie wollen Ihr Publikum per Schocktherapie kurieren?

Ich denke, mein Blick auf den Sarg ist ein anderer. Für mich ist er zunächst einfach eine wunderschöne, kunstvoll gefertigte Skulptur, die ich rein ästhetisch wahrnehme. In der Performance versuche ich nun, diese beiden Wahrnehmungsweisen – die traditionelle und die ästhetische – gegeneinander zu stellen und die Grenze zwischen den beiden verschwimmen zu lassen. Solche Kontraste und deren Auflösung bestimmen „The Coffin Of Rejuvenation“: Es geht darum, wie aus Ängsten und Krisen Kraft und Lebensfreude entstehen, wie sie den Blick auf die Welt öffnen und intensivieren können.

Europäer bringen außereuropäische Kunst gerne mit religiös oder spirituell motivierten Ritualen in Zusammenhang. Aber spielt das Rituelle überhaupt noch eine Rolle?

Ich habe mich mit sehr unterschiedlichen Formen des Tanzes beschäftigt. Für mich ist es aber nicht so wichtig, ob und aus welchen ehemals rituellen Formen sich diese Stile möglicherweise entwickelt haben. Ich benutze und kombiniere sie intuitiv und immer neu. Mir geht es einfach darum, Erfahrungen mitzuteilen, und zwar solche, die nicht in einer bestimmten Kultur oder Religion, sondern im Menschsein überhaupt gründen. Ich denke, das gilt auch für dieses Festival. Ich habe nicht den Eindruck, dass hier „asiatische Kultur“ vorgeführt wird – wir stellen unsere künstlerischen Arbeiten vor und versuchen Erfahrungen zu vermitteln.

Vieles mag auf den ersten Blick „typisch asiatisch“ wirken, aber ich finde, meistens bemerkt man sehr schnell und sehr stark die internationalen Einflüsse. Und meine Arbeit beispielsweise basiert genauso stark auf der „westlichen“ Idee von Performance-Art wie auf Elementen der „östlichen“ Kultur.

Interview: Eva Behrendt

„The Coffin Of Rejuvenation“: 21. u. 22. 8., 21 Uhr im Theatersaal, Kunsthaus Tacheles; Oranienburger Str. 154–156