Atomkrach beendet Sommerpause

Frankreichs Grüne machen gegen die Atompolitik mobil und drohen mit dem Verlassen der Koalition. Die Zeit der Kompromisse scheint nun vorbei  ■   Aus Paris Dorothea Hahn

Wenige Tage vor der parlamentarischen Rückkehr Anfang September sind die PolitikerInnen der französischen Regierung aus dem Sommerschlaf erwacht. Als erste meldeten sich lautstark die Grünen zu Wort – und schossen sich auf die Sozialistische Partei sowie die Atomindustrie ein: Die „Verts“ reichten eine Klage gegen die staatliche Atommüllagentur (Andra) ein, kündigten mögliche gerichtliche Schritte gegen die Zulassung eines unterirdischen Atomlagers in Lothringen an und drohten dem Premierminister Lionel Jospin, die Koalition zu verlassen, wenn er eine neue Generation von Atomreaktoren – die EPR (European Pressurized Reactor) – zulässt, die im nächsten Jahrtausend den gegenwärtigen Reaktorpark ersetzen sollen. „Wir sind nicht bereit, weitere Brocken zu schlucken“, sagt ein Sprecher der „Verts“, Denis Baupin.

Damit greifen die Grünen, die sich in den vergangenen Monaten ganz auf den Europawahlkampf und auf ihre politische Repräsentation in Parlament und Regierung konzentriert hatten, ihr altes Hauptthema wieder auf: den Atomkomplex. Wenige Tage vor der Eröffnung ihrer Sommeruniversität im bretonischen Küstenort Lorient schlägt ihre Spitze die radikalen Töne an, die die Basis seit langem vermissen musste. Statt klare antinukleare Positionen zu verteidigen, hatte die grüne Umweltministerin Dominique Voynet zahlreiche Kompromisse schließen müssen.

Delikaterweise steht neben der Unterschrift des Premier- sowie des Wirtschaftsministers auch der Name der Atomgegnerin Voynet unter jenem am 6. August im französischen Amtsblatt veröffentlichten Dekret, das die Einrichtung eines Forschungslabors in dem lothringischen Bure zuläßt. In 500 Meter Tiefe soll dort die Andra prüfen, ob der Ort als Endlager taugt für die rund 90.000 Kubikmeter hochradioaktiven Abfalls, die Frankreich in den nächsten 20 Jahren angesammelt haben wird.

Bis ins Jahr 2006, wenn die französische Nationalversammlung über die Einrichtung eines Endlagers entscheiden soll, werde die Einrichtung nur für Forschungszwecke, nicht aber zur Atomlagerung genutzt, versichert die Andra. Doch UmweltschützerInnen vor Ort und die Basis von den Grünen, sind davon überzeugt, dass in Bure, wo die Bauarbeiten gleich nach der Sommerpause beginnen sollen, irreversible Tatsachen geschaffen werden.

Umweltministerin Voynet, die in diesem Sommer auch der Erweiterung der Produktion von Mox-Brennelementen in Marcoule im Rhône-Tal und den Mox-Transporten aus der Normandie nach Japan zugestimmt hat, begründet ihren Pragmatismus damit, dass sie die einzige Grüne in einer mehrheitlich proatomaren Regierung sei und zweitens mit den Altlasten jahrzehntelanger französischer Atompolitik umgehen müsse. Gegenüber dem ursprünglich als deutsch-französisches Projekt geplanten EPR, von dem die Bonn/Berliner Regierung Abstand genommen hat, ist jedoch auch Voynet nicht zu Zugeständnissen bereit. Eine kontroverse Debatte über den EPR zeichnet sich in Frankreich ab, seit im Juli die Konzerne Framatome und EDF mit Siemens ein Abkommen zur Entwicklung des EPR unterzeichnet haben.

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