Vom Torwart aus gesehen rechts

■ Der Alptraum des Torwarts Oli Reck am Abend davor: Marco läuft an uuuund – doch Oli weiß, in welche Ecke. So kam es dann auch. Werder verliert gegen Schalke 0:1

In der Nacht vor dem großen Spiel: Werder gegen Schalke. 4 Uhr 35. Ganz Bremen schläft und im Maritim-Hotel ein Ex-Bremer dazu. Seine Kumpels nennen ihn Olli, und Olli träumt, dass ein grünschwarzer Spieler an der Strafraumlinie steht, sich Richtung Elfmeterpunkt in Bewegung setzt. Dort liegt der Ball, der in Ollis Tor soll, und Olli will, dass dieser Ball niemals in seinem Tor landet, denn der Huub, also der Trainer, hat es ihnen eingebläut: „Die Null muß stehen“, und wenn Olli nicht in der richtigen Ecke liegt, dann steht die Null nicht, und was dann beim nächsten Training los ist, das kann sich jeder denken, der den Huub kennt, und deshalb versucht der Olli selbst im Traum, dem Schützen in die Augen zu schauen, denn in den Augen des Schützen steht sie geschrieben, die Ecke in welche. Und diese Augen gehören Marco Bode, und der, ja der schießt doch sonst keine Elfmeter, denkt der Olli, und da läuft der Marco schon an, und was ist das? Er hat die Augen geschlossen, und Olli denkt schon wieder und denkt: Das kann er doch nicht machen, der Marco ... mach die Augen auf, Marco, mach die Augen auf ... wohin soll ich mich nur werfen? ... Marco, mach endlich die Augen auf. Und nur noch zwei Schritte, dann wird er schießen ...“Augen auf!“ schreit der Olli so laut, dass er plötzlich wach ist und stürzt aus dem Bett, wühlt wie wild in seiner Torwarttasche nach dem kleinen Elfmeternotizbuch ... blättert hektisch ...“ Bode, unter „B“ muss der Bode doch stehen ... Balakov links unten ... Bobic rechts, halbhoch, Bode, wo steht denn der Bode? Da steht kein Bode drin. Ja, wieso steht denn da kein Bode drin?

„Mensch richtig, Olli“ sagt Olli zu sich und schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirn, der Marco war ja in meiner eigenen Mannschaft, da brauchte ich nichts notieren und er hat ja sowieso nie Elfmeter geschossen ... außer neulich im Pokalfinale, und da war ich in Urlaub ... Mist. Einmal macht man Urlaub, und genau in dem Augenblick schießt der Bode einen Elfmeter ... sowas blödes.

Und dann ist es schon 4 Uhr 37, und Olli weiß, wenn ich nicht gleich weiß, wohin der Bode schießt, dann mach ich diese Nacht kein Auge, mehr zu und ohne ordentlichen Schlaf hast du beim Elfmeter keine Chance, erst recht nicht, wenn Du nicht weißt. wohin der Marco schießen wird.

Da hilft nur eins. Ich geh zu dem Mann, der immer für uns da ist. Und wer ist immer für uns da? Schnell guckt der Olli ins Notizbuch, richtig, da steht's unter „I“ wie „Immer-für-uns-da“, und da steht: „Huub“, dick unterstrichen. Genau, der Huub, da hätte ich aber gleich draufkommen können, der ist ja der Trainer, und der Trainer schreibt sich alles auf. Und dann speichert er es ab, in seinem Laptop, und den hat er immer dabei, auch jetzt um 4 Uhr 38, in der Nacht von Freitag auf Samstag, und schon klopft der Olli beim Trainer an die Tür, und um 4 Uhr 41 ist der Laptop in Gang und guckt der Huub unter B wie Bode, und da steht auch Bode, und dann winkt der Huub den Olli ganz nah zu sich ran und flüstert ihm etwas ins Ohr, und wir können uns sicher sein, dass der Huub dem Olli ganz genau gesagt hat, wo der Marco, wenn er denn mal Elfmeter schießt, wo er hinschießt, denn der Olli liegt um 4 Uhr 44 wieder in seinem Bett und um 4 Uhr 45 schlummert er wieder und träumt davon, dass Schalker Fans ihren Elfmeterkiller auf den Schultern vom Platz tragen.

Genau 12 Stunden und vier Minuten später ertönt im Bremer Weserstadion ein Pfiff, der die Schalker-Fans aus den Auswärtssieg-träumen reißt. Elfmeter für Werder. Und in dieser 64. Minute schnappt sich, für alle überraschend, Marco Bode den Ball, legt ihn auf den Elfmeterpunkt, geht zurück zur Strafraumlinie und schickt sich an, das Eins zu Eins zu erzielen, und der Olli, den sie hier immer „Pannen-Olli“ nannten, denkt sich:

Das gibt's doch nicht. Genau das hab ich doch vor zwölf Stunden und vier Minuten geträumt, dass der Bode den Elfmeter schießt, und gut, dass der Huub immer für uns da ist und sein Laptop zuverlässig speichert, in welche Ecke welcher Spieler schießt. Aber was hat er noch gesagt? Richtig, der Bode schießt nach links. Aber links vom Spieler aus gesehen oder vom Torwart aus gesehen? Au Backe, hab ich vergessen zu fragen, denkt der Olli, und da schießt der Marco auch schon, und der Olli fällt vor Schreck eher leicht schräg nach hinten und sein rechter Fuß schnellt etwas unkontrolliert nach rechts vorn oben in die Luft und tritt den Ball, den Marco Bode eigentlich vom Torwart aus gesehen rechts versenken wollte ins Feld zurück und so rettet Olli, dank der Speicherkraft des Trainer-Laptops und dank seines phänomenalen Gedächtnisses das Schalker Einszunull, und dann sind wir auch schon zur Pressekonferenz und haben nicht gesehen, ob die Schalker Fans den Pannen-Marco auf den Schultern vom Platz getragen haben.

Otmar Willi Weber