„Menschlichkeit mit Füßen getreten“

■ Im Landkreis Leer hatten es zwei kranke Kriegsflüchlinge aus dem Kosovo besonders schwer: Pflege sei nicht notwendig, sagte ein Amtsarzt / Danach bekam ein Betroffener einen Herzinfarkt

„Ich bin glücklich, dass wir es mit Rechtsanwalt und Arzt geschafft haben, Papa und Mama endlich zu uns zu nehmen“, kommentiert Mohammed Murati das vorläufige Ende des Leidensweges seiner Eltern. Nach wochenlangen Auseinandersetzungen mit dem Landkreis Leer erleichtert es diese Entscheidung jetzt den Kindern, ihre kranken Eltern zu pflegen.

Schwer krank und nervlich am Ende waren die vor zwei Monaten aus dem Kosovo nach Baden-Würtemberg geflüchtet. Obwohl sie illegal einreisten, stellten die dortigen Behörden ihnen aus Mitleid ein zehntätiges Visum zum Besuch ihrer Kinder im ostfriesischen Landkreis Leer aus. „Rechtlich zweifelhaft, menschlich verständlich“, gibt der Sprecher des Landkreises Leer, Dieter Backer, die Haltung der Ausländerbehörde wieder.

In Leer begann dann das, was Freunde der Familie Murati als „pure Schikane“ bezeichnen. Da sie dringend der medizinischen Pflege bedurften, bat Mohammed Murati, seine Eltern bei sich aufnehmen zu dürfen. Er lebt mit Frau und Kindern in einer Sozialwohnung. Sein Asylantrag ist noch nicht anerkannt. Die Ausländerbehörde des Landkreises Leer lehnte Muratis Bitte ab. Da in Deutschland ein Abschiebestopp für Flüchtlinge aus dem Kosovo besteht, durften die Muratis zwar im Landkreis Leer bleiben, aber die Ausländerbehörde wies den alten Leuten eine Wohnung in einem fast 20 Kilometer entfernten Dorf zu. „Es sollte kein Präzedenzfall geschaffen werden. Wir wollten uns gegen überhandnehmende Wünsche von Asylbewerbern schützen“, erklärt Landkreissprecher Backer der taz.

Die Muratis schalteten einen Anwalt ein. Der Landkreis bestand auf einem Attest, das die Pflegebedürftigkeit der Flüchtlinge bestätigt. Der zuständige Amtsarzt verneinte aber die medizinische Notwendigkeit von Pflege der alten Muratis.

Nach der Trennung von seinen Kinder mußte Edriz Murati vor zwei Wochen ins Oldenburger Krankenhaus eingeliefert werden: Verdacht auf Herzinfakt. „Vielleicht war Herr Murati ja sehr aufgeregt“, überlegt Dieter Bakker. „Auf dem Sozialamt wurde den Kindern Murati gesagt, wenn sie bei ihren Eltern bleiben wollten, könnten sie ja umziehen“, erklärt ein Freund der Familie der taz.

Im Oldenburger Krankenhaus stellen die Ärzte eine chronische Lungenentzündung und schwere Depressionen von Edriz Murati fest. Frau Murati leidet an einer Hüftkrankheit und kann sich kaum bewegen. Beide sprechen kein Deutsch. „Meine Eltern können sich allein hier nicht zurechtfinden“, meint Sohn Mohammed.

Obwohl sein Vater in Oldenburg in der Klinik lag, verlangte der Landkreis weiter ein Gutachten über dessen Pflegebedürftigkeit. „Die Menschlichkeit, die Beamte in Baden-Württemberg zeigten, wurde in Leer mit Füßen getreten“, ärgert sich ein Bekannter der Muratis.

Seit letzter Woche liegt ein ärztliches Gutachten über Edriz Murati von Oldenburger Klinikärzten vor. Der Wortlaut: „Eine Pflege im familiären Umfeld ist medizinisch dringend erforderlich“.

Reaktion des Landkreises: „Wir werden versuchen, für die alten Leute eine Wohnung in der Nähe ihrer Kinder zu finden“, so Landkreissprecher Backer. Und weiter: „Solange generell für Flüchtlinge aus dem Kosovo keine andere Lösung gefunden wird, können die Muratis im Landkreis bleiben.“

Thomas Schumacher