Gewaltsame Bauernproteste in Polen

■ Über 80 Verletzte am Wochenende. Landwirte fürchten um ihre Existenz, weil subventioniertes EU-Getreide ihre Ware verdrängt

Warschau (taz) – Die Polizisten im polnischen Bartoszyce/Bartenstein zogen sich in Panik zurück. Ihre Brustpanzer und Plastikschilde barsten unter dem Aufprall von Betonplatten und Straßenschildern. 83 Polizisten sind am Wochenende in der Straßenschlacht mit aufgebrachten Bauern verletzt worden – sechs schwer. Auch einige Bauern und Jugendliche mussten ambulant behandelt werden. Die Polizei war mit Wasserwerfern, Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen die Menge vorgegangen. Warum die Demonstration der Landwirte gegen die Agrarpolitik der Regierung eskalierte, wird jetzt von einer Sondereinheit der Polizei ermittelt.

Die Stimmung der polnischen Getreidebauern ist seit Tagen auf dem Siedepunkt. Der staatliche Getreideaufkauf verzögerte sich nach der Ernte, da die Banken das Geld nicht rechtzeitig freigegeben hatten. Vor den Silos bildeten sich kilometerlangen Schlangen. Bis zu zehn Tage müssen die Bauern auf ihren Traktoren ausharren, bis sie endlich zur Waage vorfahren können. Manch einer erfährt erst hier, dass sein Getreide die Qualitätsnormen nicht erfüllt und er sich noch einmal auf den Weg machen muss – zu einem Futtermittel-Händler.

Die Bauern sind nicht nur über die schleppende Abwicklung des Verkaufs unzufrieden, sondern auch über die seit 1996 fallenden Preise. Der Basispreis für eine Tonne Getreide beträgt heute rund 450 Zloty (214 Mark) – 12 Prozent weniger als im Vorjahr. Dieses Jahr werden die Bauern 26 Millionen Tonnen Getreide einfahren. Zwar haben Bauernverbände und Regierung festgelegt, dass der Staat drei Millionen Tonnen Brotgetreide zu Mindestpreisen aufkaufen wird, doch die Bauern fordern zusätzliche Subventionen und ein Einfuhrverbot für Getreide.

Denn die Agrarpolitik der EU macht den polnischen Bauern schwer zu schaffen. Der von Brüssel hochsubventionierte Export von Agrarprodukten hat nicht nur zum Zusammenbruch des polnischen Exportmarktes in Russland und der Ukraine geführt, auch im eigenen Lande haben die Bauern zunehmend Probleme mit Billigimporten. Seit klar ist, dass die polnischen Bauern nach dem EU-Beitritt Polens keineswegs in den Genuss derselben hohen Subventionen kommen sollen, wächst ihre Wut auf Brüssel und die angeblich schon heute von dort abhängige polnische Regierung. Seit über einem Jahr protestieren sie immer wieder gegen eine Agrarpolitik, die über Strukturreformen zu einem Massensterbem der kleinen Bauernhöfe führen wird.

Während in den 15 Mitgliedsländern der EU heute 7,5 Millionen Landwirte arbeiten, sind es allein in Polen rund 4 Millionen. Und während in der EU nur noch fünf Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft arbeiten, ist es in Polen jeder vierte. Die polnischen Bauern erwirtschaften auf ihren meist kleinen Höfen pro Jahr nur 14 Milliarden Mark, die EU-Bauern hingegen 235 Milliarden.

Die Regierung hat es bislang versäumt, den Bauern klarzumachen, dass die radikale Reform auf dem Land den Lebensstandard in den Dörfern erhöhen wird. An ein „Arbeitsplatzwunder“ im Handwerk und verarbeitenden Gewerbe aber glaubt kaum ein Bauer. Es ist nackte Existenzangst, die immer mehr Landwirte in die Hände des radikalen Bauernführers Andrzej Lepper treibt. Nach der Eskalation der Bauernproteste in Bartoszyce/Bartenstein hat Lepper mit weiteren Ausschreitungen gedroht: „Es sind noch zu wenig Polizisten verletzt worden.“ Gabriele Lesser