Intrigen statt Integrität

Russlands Politiker versuchen vergeblich, sich im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen politisch nachvollziehbar in Stellung zu bringen   ■  Aus Moskau Barbara Kerneck

Was alle längst vermutet hatten, verkündete am Wochenende Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow auf einer Tagung seines Wahlblocks Vaterland/Ganz Russland: Er sei bereit, zugunsten des Vaterland-Vorsitzenden und Expremiers Jewgeni Primakow auf eine Kandidatur für das Präsidentenamt im Jahre 2000 zu verzichten. Man geht in Moskau allgemein davon aus, dass sich Luschkow im Falle eines Primakow-Sieges den Ministerpräsidenten-Posten vorbehalten hat, eine Rolle, die ihm mit seiner Machernatur auch mehr läge.

Von Donnerstag bis Sonntag rotierten die Führer der sogenannten „rechten“ Parteien in einem heftigen Reigen umeinander und um den vorläufig letzten Expremier Sergej Stepaschin. Sie unternahmen den ebenso verzweifelten wie erfolglosen Versuch, als Gegegewicht zu Vaterland/Ganz Russland einen großen rechtszentristischen Block zu bilden.

Mit von der Partie war die vom ehemaligen Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin geführte Partei Unser Haus Russland. Hinzu kam die Wahlvereinigung Rechte Sache, in der sich viele Demokraten der ersten Stunde zusammengeschlossen haben, unter anderem Exministerpräsident Jegor Gajdar. Mit mischte schließlich auch noch Exministerpräsident Sergej Kirijenko mit seiner neuen Minipartei Neue Kraft.

Jede einzelne dieser politischen Kräfte läuft Gefahr, bei den im Dezember bevorstehenden Parlamentswahlen die Fünfprozenthürde zu verfehlen. Allianzen zwischen ihnen scheinen deshalb unvermeidbar. Stepaschin wäre – als zur Zeit drittpopulärster Politiker im Lande – für jede von ihnen das ideale Zugpferd.

Dass sich die beiden populärsten, nämlich Luschkow und Primakow, letzte Woche offiziell in einem Block vereinten, bringt Probleme für Präsident Jelzins engere Umgebung, im Volksmund „die Familie“ genannt. Im Falle von Vaterland-Siegen bei den Parlaments- und Präsidentenwahlen müssten sie nicht nur um Wohlstand und Privilegien fürchten, sondern auch mit Strafverfahren rechnen, wegen der Art und Weise, in dieser Wohlstand erworben wurde. Hinter dem Ringen um das Zustandekommen eines rechtszentristischen Blockes steht deshalb der Kreml selbst.

Einen Strich durch die Rechnung versuchte ihm Mitte letzter Woche Expremier Stepaschin selbst zu machen. Er bot von sich aus eine Koalition an, und zwar Grigori Jawlinski, dem Führer der Jabloko-Partei, die in allen bisherigen Jahren eine strikte Oppositionslinie einhielt und keiner Regierung angehörte. Insidern zufolge mischten sich Anatoli Tschubais und der Chef der Administration des Präsidenten, Alexander Woloschin, direkt in diese Gespräche ein und veranlassten Stepaschin zum Rückzug.

Aber der Versuch, Stepaschin anschließend einer der rechtszentristischen Parteien in die Arme zu treiben, scheiterte vorerst. Der General und Exinnenminister weiß nur zu gut, dass sein Image als unabhängiger politischer Einzelkämpfer durch ein solches Zusammengehen Schaden nähme.

Auch das Bemühen, auf der Spielwiese der Expremiers an der rechten Flanke ein schlagkräftiges Wahlbündnis zu formieren, ist erst einmal misslungen. Enttäuscht bespuckten sich die betroffenen Parteiführer am Sonnabend mit Gift und Galle. Sergej Kirijenko erklärte, er dächte gar nicht daran, jemals mit einer „Partei der Macht“ gemeinsame Sache zu machen, und meinte damit Tschernomyrdins Unser Haus. Viktor Tschernomyrdin wiederum zischte verächtlich: „Rechte Sache? Diese Sache existiert nicht.“ Er bezeichnete die Anhänger der Rechten Sache als „extreme Liberale“ und – ganz, als habe er nicht eben mit ihnen am Verhandlungstisch gesessen – fügte er hinzu: „Für uns und sie gibt es keinen gemeinsamen Weg.“