Guter, aber weiter Weg

■ „Headbanging Karl“ entdeckt die rebellische Schnürlederhose

Bettina kennt Karl. Und Karl ist eine Pfeife. Ein bleichsüchtiger Streber und Klavierspieler, vom Katholen- und Beamtenvater schon frühzeitig auf Karriere eingenordet, ohne Rückgrat, ohne Skrotum: „Die Pubertät fand bei ihm nur als Serie von sorgsam unter der Bettdecke verborgenen Peinlichkeiten statt, denn im Grunde besaß er keinen Körper, sondern nur ein Hirn.“

So einer wird natürlich Musikwissenschaftler, promoviert summa cum laude und wedelt sich zumindest in den einschlägigen Fachzeitschriften ganz ordentlich einen vom Füller. Alles wäre in Butter, wenn nicht die launische Schwester Schicksal ihm eines Tages das empfindsame Herz rausgerissen hätte. Beim Vorspielen auf dem Klavier versagt er vor versammelter Dozentenmannschaft, und jetzt nimmt die Initiation ihren Lauf. Demonstrativ schaltet er eine Hardrock- und Heavy-Metal-Sendung im Radio ein, und siehe da: „In seinen Kreisen absolut verpönt, eignete sich dieser rebellische Akt bestens, um seinen tief vergrabenen Frust an die Oberfläche zu holen und seiner Wut Ausdruck zu verleihen. Er spürte, wie ihn die Musik befreite, den Druck von ihm nahm, wie sie ganz direkt seinen Körper ansprach, statt nur den Kopf zu befriedigen.“

Natürlich blieb es nicht bei dem einen Mal. Immer öfter wollte Karl nun diese hammerharte Ansprache an seinen Körper, zumal dann, „wenn er den Umgang mit hehren Kulturgütern wieder mal gründlich satt hatte und völlig entnervt von den Intrigen und Denkverboten an seinem Institut nach Hause kam“. Karl kaufte sich eine enge schwarze Schnürlederhose, die „gab seinem spillerigen Körper ein bisschen Halt“, er besuchte von nun an jedes Death-, Speed- und Thrash-Konzert in seiner näheren Umgebung und gelegentlich auch mal eine Rockdisco. Kurzum: „Karl war auf einem guten, aber weiten Weg.“ Bald darauf zieht er von zu Hause aus und in die Großstadt, schmeißt den Uni-Job, um in der Wirtschaft sein Glück zu machen – und in seiner Freizeit genießt er „die hervorragende Heavy-Metal-Infrastruktur seiner neuen Heimat“: „In der nahe gelegenen Hardrock-Kneipe ist er Stammgast, und auch nach einer headbangenden Partnerin hält er dezent Ausschau.“ Karl hat noch mal die Kurve gekriegt. Und? Wem hat er all das zu verdanken? Wir müssen gar nicht lange überlegen, Bettina verrät's: „Der Heavy Metal hat ihm den Mut gegeben, sein eigenes Leben zu leben.“

Karls Geschichte, die ja gewissermaßen das Leben schrieb, ist leider schon der Höhepunkt in Bettina Roccors Heavy-Metal-Satire. Etwas komisches Kapital schlägt sie noch aus der – freilich auch recht wohlfeilen – Parodie des Szenejargons, wie er etwa im Fachblatt Rock Hard gepflegt wird. Sonst fällt die Karikatur jedoch eher blass und reichlich oberflächlich aus. An einer Stelle mussten wir aber doch noch einmal lachen, da persifliert sie ganz gewitzt die gängigen Klischees, die immer mal wieder ins Feld geführt werden, wenn es um die Frage geht, wie der Mensch zum Schwermetall komme: „Kriterien für die weltweit zu beobachtende Anfälligkeit gegenüber Heavy Metal sind eine industrialisierte Umgebung, das Ausgeliefertsein an die Bedingungen einer durchrationalisierten Produktion und die strikte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Daraus resultiert das Bedürfnis nach einer ausdrucksstarken Musik, die es ermöglicht, den angestauten Frust, die Aggressionen und die Hilflosigkeit angesichts vorgezeichneter, meist langweiliger Lebensverhältnisse abzureagieren.“ Das ist schon toll, wie sie das macht! Frank Schäfer

Bettina Roccor: „Heavy Metal. Die Bands. Die Fans. Die Gegner“. Verlag C. H. Beck, München 1998, 192 S., 19,80 DM