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: Eine verborgene Schatztruhe

■ Von Nino Ketschagmadse

Ich habe es aufgegeben. Die Bemerkungen über meine „russische Seele“ nehme ich mittlerweile gelassener hin als vor ein paar Jahren. Damals habe ich mein Nationalgefühl noch mit meinem hitzigen kaukasischen Temperament ausgedrückt.

Der Ex-Homo-sovieticus hat es schließlich nicht leicht. Wenn er nicht gerade orientalisch aussieht oder aus dem Baltikum kommt, wird er gnadenlos als Russe bezeichnet. Da kann er sich noch so sehr dagegen wehren.

Seit sechs Jahren pendle ich regelmäßig zwischen Georgien und Deutschland. Seit sechs Jahren kläre ich alle, die mir über den Weg laufen, über Georgien auf: Ich erzähle, dass es nördlich von der Türkei am Schwarzen Meer liegt; dass die Grenze zwischen Europa und Asien durch Georgien läuft; dass Georgisch eine eigene Sprachfamilie ist und eine eigene Schrift besitzt; dass Jason mit seinen Argonauten in Kolchis, Westgeorgien, gelandet ist, um das Goldene Vlies zu stehlen; dass Georgien seit 334 n. Chr. christlich-orthodox ist, und dass der Georgier Eduard Schewardnadse das Land als Präsident regiert.

Vielleicht überfordern wir das alte Europa. Vielleicht haben wir in unserer Naivität geglaubt, die ganze Welt würde uns nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion plötzlich von unseren ehemaligen Schwesterrepubliken unterscheiden und schätzen lernen. Ein Sechstel der alten sowjetischen Landkarte mit ihrer Einheitsfarbe zerfällt inzwischen in ein ganzes Farbspektrum. Dazu neue Schreibweisen, neue Namen – so viel Geografie, da ist man überfordert.

Und damit nicht genug: Die kleinen Völker, die es in der Sowjetunion in Hülle und Fülle gab, wollen nun auch noch entdeckt und akzeptiert werden. Wer hat früher von Tschetschenen, Osseten oder Abchasen gehört? Was einem in der Schule nicht beigebracht worden ist, lernt man heute durch Tagesschau und Zeitungen: Konflikte als Lehrmaterial.

Ich bin Tochter eines kleinen Volkes. Wir glauben, unsere Geschichte und unsere Persönlichkeiten seien es wert, in der ganzen Welt bekannt zu sein. Hervorragendes Essen, guter Wein, schöne Landschaften, anspruchsvolle Filme, einzigartige polyfone Lieder und hübsche Frauen – es gibt viel Grund, auf unser Land stolz zu sein.

Aber mein Patriotismus ist mittlerweile gedämpft. Ich bin weniger anspruchsvoll geworden. Ich möchte nicht mehr, dass alle mein Land kennen. Es ist immer schön, etwas zu entdecken, von dessen Existenz man nie geahnt hat. Das gilt auch für Georgien – eine verborgene Schatztruhe.