Rebellen vernichten – mit Mann und Maus

Wie viele Opfer die Kämpfe in Dagestan bisher gefordert haben ist unklar, ebenso die Dauer des Krieges. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass sich das tschetschenische Szenario wiederholen könnte  ■   Von Barbara Kerneck

Moskau (taz) – Tando – betont auf der zweiten Silbe –, so heißt das Dorf, das im Dagestan-Krieg zu einem Miniatur-Stalingrad geworden ist. Hier, wie jetzt überhaupt in diesem Konflikt, liegt die Initiative ganz bei den Streitkräften der Russischen Föderation. Sie kennen nur ein Ziel: die Eindringlinge aus Tschetschenien mit Mann und Maus zu vernichten.

Nach Schätzung des russischen Oberkommandos handelt sich um etwa hundert islamistische Kämpfer, die man hier eingekesselt hat. In einer offiziellen Verlautbarung heißt es, man werde sie so lange beschießen, bis ihre Kräfte erschöpft seien, und erst dann das Dorf stürmen. Den gleichen Angaben zufolge sind fünf mit diversen Gütern und Waffen beladene Kraftwagen bei dem Versuch vernichtet worden, den Eingeschlossenen zu Hilfe zu kommen.

Zwei Hauptfragen sind allerdings in diesem bewaffneten Konflikt bisher unbeantwortet geblieben: Wie lange kann er noch dauern und wie viele Menschenleben hat er bereits gekostet? Die Berichterstattung der Medien gestaltet sich in diesem Krieg wesentlich schwieriger als seinerzeit in Tschetschenien. Das Verteidigungsministerium in Moskau verweigert jede Zusammenarbeit. Und vor Ort gelingt es höchstens einmal, einen gut genährten General vor dem Stabszelt zu filmen, der dröhnt, in Dagestan sei alles in Butter, die russischen Soldaten seien satt und zufrieden.

Trotzdem haben die islamischen Kämpfer den Informationskrieg bereits verloren. Zum einen, weil an dieser Front einfach nicht an sie heranzukommen ist. Zum anderen, weil auch ihre Ideologen aus dem tschetschenischen Hinterland es bisher nicht vermocht haben, ihre Motive für den Einmarsch irgendjemandem nachvollziehbar zu machen. Nach unabhängigen Umfragen sympatisieren in Dagestan nur drei Prozent der Bevölkerung mit den Islamisten.

Was die Anzahl ihrer eigenen Soldaten in der Gegend betrifft, so nenen die Russen keine Zahlen. Fachleute schätzen sie auf mehrere tausend. Die Zahl der Terroristen wird auf 1.200 geschätzt. Das dagestanische Innenministerium veröffentlicht als einzige offizielle Quelle Zahlen über Verluste, wobei die des Feindes stets zehnmal höher angesetzt werden als die eigenen. Besonders verwundert dabei, wie es den Offiziellen in Machatschkala gelungen sein könnte, die toten Islamisten zu zählen. Die lebenden verstecken sich tagsüber in Höhlen und bemühen sich, ihre Gefallenen unverzüglich zu bergen.

Der Korrespondent der Tageszeitung Komsomolskaja Prawda hat Angaben aus verschiedenen vertraulichen Quellen über die Opfer der Föderalen kombiniert und kommt auf 53 Gefallene und 127 Verwundete auf föderaler Seite. Die Zeitung findet diese Schätzung durch die Behauptung der tschetschenischen Seite bestätigt, man habe 150 Feinde getötet und 400 verwundet. „Die Erfahrung aus dem Tschetschenien-Krieg lehrt, dass sie dort unten immer alles um das Dreifache übertreiben“.

Es bleibt die Frage, aus wem sich die Kampfeinheiten der beiden Seiten zusammensetzen. Die gefallenen Eindringlinge, die den Russen in die Hände fallen, verraten auch nach ihrem Tode noch etwas, dass nämlich auf Seiten der Islamisten wirklich ein internationales Kontingent kämpft. Am Sonntagabend zeigte das russische Fernsehen zum Beispiel die Leichen dreier Männer, bei denen arabische Ausweispapiere gefunden wurden.

Die US-Tageszeitung New York Post behauptete am Wochenende unter Hinweis auf amerikanische Geheimdienstquellen, hinter der Operation in Dagestan stehe der international gesuchte Terrorist Ussama Bin Laden. Er gebe nicht nur Geld, sondern habe auch hunderte seiner Anhänger an diesen Ort geschickt, der als geografischer Umschlagpunkt für Erdöl, Erdgas und Drogen wie beispielsweise Heroin gilt.

Über die Zusammensetzung des föderalen Kontingentes lassen sich Schlüsse anhand der Verwundeten ziehen, die jetzt im Militärhospital der südrussischen Stadt Rostow am Don eintreffen. Nach Zeugenaussagen sahen diese Soldaten stark untergewichtig, sehr jung und sehr eingeschüchtert aus. „Wir haben den Verdacht, dass sich die Armeeführung nicht an ihr Versprechen hält, in Dagestan nur erfahrene Spezialtruppen einzusetzen“, sagte der taz eine Sprecherin des Komitees der Soldatenmütter Russlands: „Alles spricht dafür, dass auch dorthin, wie seinerzeit nach Tschetschenien, wieder untrainierte Wehrdienstleistende geschickt werden, die gerade erst ihren Eid abgelegt haben. Alles geht wieder von vorne los.“