Die Jazzkolumne
: Stolz und Zuversicht

■ Ökonomisch gesehen der Normalfall: Jimmy Scott – eine Karriere im Jazz

Sein Anzug sitzt oft nicht richtig, wirkt meist zu groß, als hätte man ihn hineinverfrachtet in ein Kleidungsstück, das einfach nicht passt. Für die eher seltenen Momente wie einen Fototermin oder einen Festivalauftritt. Dann sieht er fast so aus, als würde der Anzug von dem erzählen, worüber seine Lieder schweigen: von seinem Leben. Das auch nie so recht passte.

Über Jimmy Scotts Gesang lässt sich streiten. Eine so genannte Geschmacksfrage. Um es genauer zu sagen: Wer seine Stimme nicht mag, verlässt den Saal – oder kommt erst gar nicht. Bei Jimmy Scott buht man nicht, man geht. So geschehen bei seinen Auftritten in Den Haag und Berlin 1995. Bleiben tun nur jene, die dann doch offen sind – für die schönsten Balladen der Jazzgeschichte und einen ihrer eigenwilligsten Interpreten.

„Die großartigen Songschreiber von einst machten es uns möglich, über das Leben zu singen. Sie konnten durch einen Song ausdrücken, was das Leben ausmacht. Heute findet man solche Schreiber kaum mehr“, sagt Scott, der Anfang der 90er-Jahre als Backgroundsänger mit Lou Reed auf Tour war, als Gast bei David Sanborn („Pearls“) und den Jazz Passengers („In Love“).

Er sang auf der Beerdigung von Doc Pomus und bei Eisenhowers Inauguration. Er tourte mit Kip Hanrahan, Ishmael Reed und David Murray. Als die Filmleute ihn anriefen, um ihm eine Rolle anzubieten, war Jimmy Scott ganz aufgeregt. Dem folgte das kleine Entsetzen, die Enttäuschung. Er sollte nämlich nur einen Geist spielen, in „Twin Peaks“.

Als er geboren wurde, hieß er James Victor, das war am 17. Juli 1925. Sternzeichen Krebs. Scott wuchs in einer kinderreichen Familie auf und nach dem frühen Tod seiner Mutter bei Pflegeeltern. Er leidet an einer seltenen Erbkrankheit, dem so genannten Kallman-Syndrom, und profitiert davon mit seiner Stimme: Sein Körper stellte noch vor dem Stimmbruch jedes Wachstum ein. Es heißt, dass er, Little Jimmy Scott, medizinische Abhilfe nie wirklich in Anspruch nahm, um seine Stimme nicht zu verlieren. Es heißt, dass man ihn für eine Frau in Männerkleidern hielt und dass er gegen das schwule Image mit zahlreichen Frauenaffären anging. Und natürlich auch mit Alkohol.

„I wish I knew“, das war in den 40er-Jahren, als er bei Lionel Hampton sang, der Anfang seiner eigentümlichen Karriere. Dann „Don't take your love from me“, „Talk of the Town“ – das waren die Biggies für ihn, die großen Songs. Damals.

Auf seiner Comeback-CD „All the Way“ (1992) interpretierte er vornehmlich die großen alten Balladen wie „Angel Eyes“ und „Someone to watch over me“. Intim, zerbrechlich wie nur er es kann, aber auch voller Stolz und Zuversicht.

Zwischen seinen Plattenveröffentlichungen erlebte Scott immer wieder das Auf und Ab des Musikbusiness. Firmen, die ihn nicht bezahlen, Firmen, die ihn aufnehmen, aber unter anderem Namen veröffentlichen, Firmen, die ihn nicht veröffentlichen, Firmen, die ihm kündigen. So etwa geschehen nach seiner letzten Warner-CD „Heaven“. Ein Flop, gemessen am Produktions- und Promotion-Aufwand.

Scotts Karriere repräsentiert ökonomisch gesehen den Normalfall, er hat erfahren, was Rassismus und Ausbeutung im Musikbusiness heißen kann. Die Plattenfirma Savoy zum Beispiel, die heute zu Denon gehört, knebelte ihn in den Fünfzigerjahren mit Verträgen, die ihn fast lebenslang und tantiemenlos an diese Firma banden. In den Jahren, Jahrzehnten zwischendurch, sang Jimmy Scott weiter. In der Gegend um Cleveland, wo er wohnte und als Nachtportier in einem Hotel arbeitete – das war seine Existenzgrundlage. An den Wochenenden sang er gelegentlich auch in Clubs und Hotelbars.

Scott war eigentlich nie lang fort. Sein letzte New Yorker Care/of-Adresse liegt nun auch schon einige Jahre zurück. Heute ist Jimmy Sott wieder zu Hause in Cleveland, Ohio, wo er geboren wurde und aufwuchs. Seine jüngste CD heißt „Holding back the years“, sie erschien letztes Jahr bei dem obskuren New Yorker Label Artists Only! Records, ist aber erst jetzt in Europa veröffentlicht worden. Ironischerweise wieder über sein ehemaliges Hauslabel Warner, das in Frankreich sogar mit einem Jimmy-Scott-Fanclub aufwartet. Hier singt er nun Coverversionen von Elvis Costello, John Lennon, Bryan Ferry und Prince, weil der Produzent meinte, es sei gut für ihn. Scott behauptet, die Originalaufnahmen gar nicht zu kennen, und irgendwie hören sich seine Interpretationen auch genau so an. Aber wichtig sei vor allem, dass die Kompositionen und ihre jeweilige Message zu ihm passen.

Mit seinem sehr eigenen Timing und Timbre mixt Scott Jazz-Content mit Curtis Mayfields Gospel Soul, dessen Hymne „People Get Ready“ er bereits mit seiner „Heaven“-CD in die Neunzigerjahre rettete. Mayfield hat immer den Einfluss der schwarzen Kirche und ihrer Gospels auf die Entwicklung der Soulmusik betont, auch und besonders dann noch, als diese in den Sechzigerjahren zunehmend politisiert wurde. „People get ready“ ist ein klassisches Beispiel für seine These, dass man einfach die Texte älterer Gospelkompositionen etwas verändern müsse, um ihren radikalen Gehalt zum Ausdruck zu bringen.

Wenn Scott heute von einem gemeinsamen Ausdruck spricht, der Jazz und Gospel verbindet, provoziert er die Trennung von ästhetischem und ethischem Statement. Die seriösen Gospelkirchen mögen als Orte taugen, in denen ein Gefühl für Wahrheit und Ehrlichkeit bedient wird, während Jazz-Clubs den Raum für die weltlich-kontemplative Variante des Themas bieten. Wie der Call-and-Response-Chorus aus einem Gottesdienst seiner Kindheit händelt Scott den Scheitern-und-Comeback-Zyklus seines Lebens. Sein Gesang repräsentiert das, was der afroamerikanische Schriftsteller Albert Murray als „sound track for an affirmative lifestyle“ bezeichnet, „music for good times earned in adversity“. Christian Broecking