Der Spielverderber

Der HipHop-Gralshüter Chuck D über die Rückkehr von Public Enemy als Download  ■ Von Holger in't Veld

Wenn das Mikro aus ist, beginnt das andere Leben. Dann sind Widersprüchlichkeiten akzeptabel, dann muss ausnahmsweise nicht doziert und diktiert werden. Niemand schreibt mit. Chuck Ds Mikro ist gerade jetzt, wo er sich noch einmal erfolgreich als Public Enemy inszeniert hat, selten aus.

„Die Leute kommen und fragen mich, wie sie sich im Business zurechtfinden, wie man 15 Jahre dabeibleiben kann, alles. Ich bin Ratgeber, Therapeut und Psychologe.“ Was den 38-Jährigen keinesfalls überfordert. Im Gegenteil, er will gefragt sein. Die (kurze) Zeit, in der er und seine Gruppe Public Enemy, die am kommenden Mittwoch zum einzigen Konzert in Norddeutschland die Große Freiheit rocken wird, sich etwas zurückgezogen hatten, „hat alles nur noch schlimmer gemacht. Wir müssen die Security an der Tür lassen. Wenn wir weggehen, könnte die Party vorbei sein.“

Dass ihn bei dieser vermeintlichen Notwendigkeit als HipHop-Gralshüter keine der jüngeren Stimmen ersetzen kann, liegt seiner Auffassung nach daran, dass niemand den Mut dazu hat. „Niemand will seine Karriere aufs Spiel setzen, so wie ich oder KRS One es gemacht haben. Sowas wie By Any Means Necessary musst du erstmal sagen. Je mehr du auf Verkäufe achtest, desto weniger gefährlich wirst du. Außerdem“, schließt er milde, „kannst du auch gar nicht mehr so gehört werden angesichts der Menge, die heute erscheint.“

Chuck D hat eine klare Vorstellung davon, welche gesellschaftliche und künstlerische Rolle Hip-Hop zu spielen hat. Seine Gewichtung ist klar: Inhalt über Form. Das macht ihn zu einem liebenswerten Wertkonservativen, vor allem, da die Inhalte immer noch die alten sind. Ethnozentrismus, der sich als „Black Empowerment“ manifes-tiert und immer wieder ein aufklärerischer Appell, (weiße) kapitalis-tische Strukturen zu zerschlagen oder für sich zu nutzen. Was nach fünfzehn Jahren so selbstverständlich ist wie das Sirenensample, das von Anfang an die Dringlichkeit der Nachrichten unterstrich und als Klischee den Erfolg der Band in linken Hardcore-Zirkeln möglich machte. Die Übertragung in Sprache sind ihre zentralen Slogans: „Fight The Power“ und „Don't Believe The Hype“ – allerbestens zu skandieren und für die Party danach noch „Bring The Noise“. Zusammen mit dem bomberjackentauglichen Logo des Mannes im Fadenkreuz eine perfekte provokative Corporate Identity.

Doch wer hört angesichts von soviel ästhetisch-plakativem Protest noch auf Public Enemys Inhalte? Zumindest der kritische (deutsche) Journalismus ist es nun, der dezidiert Problematisierung betreibt. Die anhaltenden antisemitisch und nationalistisch lesbaren Zwischentöne, jüngst offenbar in Texten wie „Swindlers Lust“ oder Chuck Ds neuem Projekt „Confrontation Camp“, werden zentriert, die weitgehende Abwesenheit der ansonsten im HipHop alltäglichen sexistischen Sprache nicht erwähnt. Hier wird das Interventions-Potential von Chuck D auf einer Ebene ernst genommen, die dem Unterhaltungs-Rap nicht zugestanden wird.

Das musikalische Pendant zu dieser inhaltlichen Lesart wiederum kritisiert entweder die Altbackenheit oder die Halbherzigkeit, die fehlende Brisanz im Klangbild. Sprich: Public Enemy machen eigentlich alles falsch, sind nicht radikal genug, nicht genau genug, wenn nicht gar fahrlässig und ersetzen in ihrer Kritik ein Übel durch ein anderes, weißen Nationalismus durch schwarzen. Dass sie dabei die einzigen sind, die überhaupt Strukturen und Kontexte erkennen und benennen können, ist dabei oft nicht mehr als selbstverständliche Grundlage der Auseinandersetzung.

Ginge es nach Chuck D, so gäbe es momentan nur ein Gesprächsthema: sein neuentdecktes Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Durch den medial auf Schritt und Tritt begleiteten Schachzug, die „Rückkehr“ von Public Enemy im Netz stattfinden zu lassen, die neue Platte zunächst als MP3-Download anzubieten, ist er wieder da, wo er sich am liebsten sieht: der Pirat, der Spielverderber. „Ja, ich bin wieder Public Enemy“, grinst er. Ob er es vermisst hat? „Schon.“

Im Internet sieht Chuck D die Möglichkeit, direkt und ohne den sowohl inhaltlich Einfluss nehmenden wie Profit abzweigenden in-dustriellen Apparat in Kontakt zu treten. Seine Musik und seine wöchentlichen Essays sind diesbezüglich nicht mehr als das einzuspeisende Material, denn „es geht nicht mehr um die Musik, sondern um die Felder, Orte, in denen Musik passiert. Deswegen mein Interesse am Internet und daran, dort Strukturen zu schaffen, die Öffentlichkeit garantieren. Alles was wir machen, ist zuerst Internet und dann traditionell.“ Und auch wenn die Zahlen belegen, dass die Aktivität im Netz nur als Promotion für den klassischen Tonträger funktioniert – es geht um das Aufzeigen von Möglichkeiten, um die herbeizuführende Dreiteilung des Musikmarkts in Majors, Indies und Downloads. Er sieht eine Million Künstler und fünfhundertausend Labels, und er freut sich darauf. Selbstverwaltung via Technik, seiner Auffassung nach die einzige Chance für HipHop, wenn nicht gar für das Individuum per se. Da kommt der Dozent wieder zum Vorschein und spricht: „Die Unterteilung des nächsten Jahrtausends wird sein, wer die Technologie kontrolliert und wer davon kontrolliert wird. Und Farbige sind darauf strukturell schlechter vorbereitet.“

Grund genug, Präsenz zu zeigen, überall und laut wie immer. „Come on all to the download ball“, sloganiert Chuck D auf der Preisverleihungs-Party der zum Entertainment-Multi gewandelten Suchmaschine Yahoo. Frei wie nie zuvor spielt er das Spiel des neuen Mediums, wo gerade Sarah McLaghlan für das beste Internet-Only Album ausgezeichnet wurde. Die Konkurrenz war, da das neue Album There's A Poison Going On ja nun doch in allen Formaten niederkommt, nicht allzu stark. Dass sich hier nach Radio, Fernsehen und MTV nur eine weitere Struktur aufmacht, den neuen Aktivismus zu kompromittieren und hierarchisieren, ist dabei (noch) kein Thema. Ebensowenig wie die Frage, ob dieses Business in schwarzer Hand ist. Auch auf den Bühnen Europas wird der dritte Weg mit Nachdruck verhandelt, hier kann Chuck D endlich mal wieder sein libidinöses Verhältnis zum Mikro voll ausleben. Kritik darf und soll auch in diesem Rahmen geübt werden. Kleiner Tip: vorher die eigene Position hinterfragen.

mit Afrob: Mi, 1. September, 21 Uhr, Große Freiheit