„Ahnungslos ins Bett“

■  Der Ostberliner Verleger Christoph Links will sich nicht in Erinnerungen sonnen. Nach der Wende begann er mit der Aufarbeitung der DDR, inzwischen sind auch Bücher zur Lebenshilfe im Programm

taz: Wie haben Sie den 9. November 1989 erlebt?

Christoph Links: Für den Abend hatte sich Besuch angesagt. Urs Müller-Plantenberg, Lateinamerikanistikprofessor an der Westberliner Freien Universität, wollte Kollegen aus Peru und Kolumbien Ostberlin zeigen und sie zugleich ins „Zentrum der Revolution“ führen. Was lag da näher als mein Balkon gegenüber der Gethsemane-Kirche in Prenzlauer Berg. Er bot einen Logenplatz mit Blick auf jenen Ort, an dem sich die Opposition zu Mahnwachen versammelte und wo einen Monat zuvor Protestdemonstrationen gewaltsam aufgelöst worden waren. Noch während wir auf dem Balkon die Ereignisse zu rekonstruieren versuchten, klingelte es an der Tür. Walter Süß, DDR-Korrespondent der taz, kam verwirrt von einer Pressekonferenz mit SED-Politbüromitglied Günther Schabowski zurück, der von einer neuen Reiseregelung berichtet hatte. Nach kurzer Diskussion verständigten wir uns darauf, dass vermutlich wieder mal ein bürokratischer Trick versucht würde. Wir gaben unseren lateinamerikanischen Freunden den Rat, nicht zu spät aufzubrechen, da es zu Staus an den Grenzübergangsstellen kommen könnte. So legten wir uns nach Mitternacht ahnungslos ins Bett.

Was bedeutet der Mauerfall für Sie?

Für mich war der Mauerfall ein Akt der Befreiung, obwohl ich als Lateinamerika-Redakteur der Berliner Zeitung schon zu den privilegierten DDR-Bürgern gehörte und nach Kuba und Nicaragua reisen durfte. Mich interessierte aber besonders dieser andere Teil Berlins. Für mich war die Mauer eine Störgröße, weil ich täglich an dieser Wand entlang laufen musste. So bin ich denn gleich am 10. November los und habe Freunde besucht.

Eine Sparte Sachbuch wollten Sie schon zu DDR-Zeiten im Aufbau-Verlag gründen. Was wären die Themen gewesen, wenn Sie diesen hätten gründen können, und worin unterscheiden die sich von den Themen, die der Christoph Links Verlag heute macht?

Ein Sachbuch-Verlag ohne die Wende wäre ein zahnloses Unternehmen gewesen, das sich permanent an Zensureingriffen hätte reiben müssen. Insofern war die Wende der Auslöser, einen eigenen Verlag zu gründen. Ich hatte bereits im Oktober im Aufbau-Verlag ein Konzept für eine eigene Sachbuchreihe eingereicht. Die ist abgelehnt worden, weil das Papierkontingent noch nicht mal ausreichte, Christa Wolf ordentlich zu drucken. Am 1. Dezember habe ich dann den Antrag für einen eigenen Verlag gestellt.

Der Wendegewinnler, der trotzdem die Themen der Wende sich zum Thema gemacht hat?

Gewinnler in dem Sinne, dass jemand, der jahrelang an die Grenzen von Publikationsmöglichkeiten gestoßen ist, jetzt unzensiert veröffentlichen konnte. In den Wochen nach dem Mauerfall war ich auf der Straße und in den Kirchen, habe Tagebuch geschrieben und die Ereignisse festgehalten, woraus ja dann später die „Chronik der Wende“ entstanden ist. Plötzlich waren für mich die Themen vor der Haustür wichtiger als alles andere, und mein angestauter DDR-Frust brach aus mir heraus. Ich gehörte ja zu denen, die innerhalb der Strukturen agiert haben. Ich war Mitglied der SED und habe versucht, mit Freunden zusammen eine Demokratisierung von innen zu bewirken, und bin da regelmäßig zurückgepfiffen worden. Jetzt bin ich parteilos und werde mein Lebtag auch in keine Partei mehr gehen, sondern will mit dem Verlag ein offenes Spektrum anbieten.

Gibt es denn auch Bücher aus dem Links-Verlag, die Ost-Identität schaffen, oder ist es tatsächlich nur kritische Aufarbeitung?

Wir versuchen eine unvoreingenommene, aber kritische Betrachtungsweise. Wir sonnen uns nicht in schönen Erinnerungen, sondern wollen immer hinter den Schein gucken. Gleichzeitig geht es uns nicht um eine gnadenlose Delegitimierung der DDR, wie es aus hart konservativer Ecke oft versucht wird. Sondern wir wollen mit der Hinwendung zur Alltagsgeschichte der DDR die verschiedenen Bereiche der DDR sachlich aufarbeiten, nicht nur die Herrschaftsgeschichte. Das heißt, es gibt Fälle, in denen Bereiche der DDR viel negativer wegkommen, als man gedacht hat, z. B. in der Justiz. Dann gibt es wieder Fälle, in denen die DDR nicht so schlecht abschneidet, wie etwa bei der Untersuchung über die Psychatrie in der DDR, die eben nicht massenhaft und systematisch von der DDR-Staatssicherheit missbraucht wurde wie in der Sowjetunion oder Rumänien und wie es in der Boulevardpresse Anfang der 90er Jahre zu lesen war.

Sie sind aufarbeitend publizistisch dabei, die DDR zu verlassen. Sind sie auch dabei, in der Bundesrepublik anzukommen?

Wir sind mit vielen Büchern längst in der Bundesrepublik angekommen, so mit der Dokumentation über den Streit zu Tucholskys Satz „Soldaten sind Mörder“ oder mit dem Band über das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Dieser hat mit dazu beigetragen, dass zwei Kasernen, die noch die Namen von Nazi-Generälen trugen, umbenannt werden mussten. Von frühen Zeiten an haben wir uns in die aktuelle bundesdeutsche Debatte eingemischt. Aber es ist natürlich so, dass man am Markt mit einem bestimmten Markenzeichen versehen wird und man von der Öffentlichkeit eine bestimmte Kompetenz zugeschrieben bekommt, die einem in anderen Bereichen aberkannt wird. Wir sind vom Markt daher immer wieder auf unsere Ostgeschichte zurückgeworfen worden.

Wenn die Buchpreisbindung endgültig wegfällt, wünschen Sie sich dann das alte System der DDR-Planwirtschaft zurück?

Nie. Nichts wäre mir schrecklicher als eine Rückkehr in das DDR-Planungssystem. Dass man frei und ungehindert publizieren kann, ist ein Reichtum, den ich nicht missen möchte. Wenn die Buchpreisbindung fällt, wird es natürlich für Verlage unserer Größenordnung extrem schwierig, denn unsere Bücher sind ja nicht die Massenware, die in den großen Kaufhäusern stapelweise an der Kasse liegt. Wir brauchen die kleinen engagierten Buchläden, die dann am ehesten kaputtgehen würden. Deshalb kämpfen wir auch mit aller Kraft für die Erhaltung der Preisbindung.

Interview: Kirsten Küppers
und Uwe Rada