Parade für die Freiheit

Kurz vor dem Referendum demonstrieren in Osttimor Zehntausende gegen den Machtanspruch Indonesiens   ■  Aus Dili Jutta Lietsch

Es war eine Demonstration der Hoffnung und des Mutes: Fünf Tage vor der historischen Volksbefragung über die Zukunft Osttimors versammelten sich gestern in der Hauptstadt Dili Zehntausende, um Freiheit und Unabhängigkeit zu fordern. Sie saßen dicht gedrängt und fröhlich auf den Dächern von Bussen und auf der Ladefläche von Lastwagen oder hingen in Trauben aus kleinen Transportern. Sie schwangen die Fahnen des „Osttimoresischen Widerstandsrates“, dessen Chef Xianana Gusmao im Hausarrest in Jakarta sitzt. Sie riefen: „Viva!“ und sangen die Hymnen der Guerillabewegung Falintil, die seit der gewaltsamen Annektion Osttimors durch Jakarta im Jahre 1976 gegen Indonesien kämpft. Vier Kilometer lang war der Konvoi, wie ein österreichischer Zivilpolizist schätzte, der als einer von 271 UNO-Polizisten in Osttimor arbeitet. Die Autoparade wand sich durch die Straßen der Stadt bis zur Bucht von Dili und machte schließlich vor dem erst kürzlich eröffneten Büro des Widerstandsrates halt.

Während der Wind durch die Palmen und mächtigen Hali-Bäume streifte, traten die prominenten Köpfe der bunt zusammengewürfelten Unabhängigkeitsbewegung Osttimors auf einer kleinen Bühne auf: Guerillakämpfer, die sich in Uniform und in roten, schwarzen oder braunen Che-Guevara-Kappen zeigten, die auch Xanana Gusmao bevorzugte, bevor er sich im Gefängnis von Jakarta zum staatsmännischen Politiker wandelte. Daneben standen Politiker wie der ehemalige Parlamentsabgeordnete Manuel Carrascalao, der erst vor kurzem aus dem Exil zurückkehrte. Er war, wie viele Mitglieder des Widerstandsrates, nach dem Massaker von Dili im April ins Ausland geflüchtet. Damals hatten pro-indonesische Milizen mit Macheten in seinem Haus ein schreckliches Blutbad angerichtet. Auch sein Sohn kam ums Leben. Eine der Milizengruppen von Dili hat wenige hundert Meter weiter ihr Hauptquartier im kleinen Hotel Tropical aufgeschlagen. Polizisten sperrten vorsichtshalber die ganze Straße ab, um Provokationen zu vermeiden.

Als die Abenddämmerung hereinbrach, kurvten noch vereinzelt Wagen mit unermüdlich „Viva!“ rufenden Jugendlichen durch die Stadt. An den Straßenrändern standen Hunderte, die geduldig nach einem Bus oder Taxi Ausschau hielten, um vor der Dunkelheit wieder zu Hause zu sein. Am Montag sollen die Osttimoresen darüber entscheiden, ob sie weiterhin Teil Indonesiens bleiben oder ganz unabhängig werden wollen.

Wie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York am Dienstag bestätigte, hält die UNO am geplanten Termin für das Votum fest, auch wenn es derzeit außerhalb von Dili an vielen Orten schwere Einschüchterungsversuche pro-indonesischer Milizen, Jakarta-treuer Bürgermeister und Militärs gibt. In einigen Fällen wollen die Wahllokale zusätzlich am 31. August öffnen, um allen Wahlberechtigten die Chance zu geben abzustimmen. Mitarbeiter der UNO berichten, dass in den letzten Tagen wieder zahlreiche Menschen vertrieben wurden. Organisationen wie das Flüchtlingswerk UNHCR und die Caritas versorgen Tausende mit Lebensmitteln, Medikamenten und Wasser. Der UNO-Sicherheitsrat äußerte sich inzwischen besorgt über die anhaltende Gewalt im Vorfeld der Abstimmung.