Die schwachen, forschen Männer der SPD

In Sachsen und Thüringen wird gewählt. Karl-Heinz Kunckel hat schlechte Karten, Kurt Biedenkopf zu stürzen. Richard Dewes, Thüringen, wird es wohl eher reißen – trotz eklatanter Fehler als Innenminister  ■   Von Nick Reimer

Im vergangenen Herbst frohlockten die Sozialdemokraten. Nach der Bundestagswahl dachten sie, nun werde der Osten rot. Nur noch weniger als ein Drittel der Ostdeutschen hatten bei der Bundestagswahl ihre Stimme den Christdemokraten gegeben. Sachsens absolut regierende CDU büßte über 15 Prozent ein, die Thüringer SPD wurde erstmals stärkste Kraft – mit deutlichem Vorsprung. Wahlforscher machten ein erstarktes Sozialstaatsempfinden bei den gelernten DDR-Bürgern aus. Dies werden die nächsten Landtagswahlen entscheiden – zugunsten der Sozialdemokraten.

Bald ist es soweit. Am 12. September bestimmen die Thüringer ihr neues Parlament, eine Woche später gehen die Sachsen. Mecklenburgs Regierungschef Harald Ringstorff (SPD), der 1998 von der linken Stimmung im Osten am stärksten profitierte, sagt heute: „Gott sei Dank sind bei uns erst wieder in drei Jahren Wahlen.“ Damit trifft er die Wahlkampfstimmung, die sich im Südosten breit macht. Von der sozialdemokratischen Euphorie des vergangenen Herbstes ist nichts übrig geblieben. Ringstorff sagt heute: „In der Anfangsphase der Regierungsarbeit im Bund sind gravierende Fehler gemacht worden.“ Das schlage sich auch in den Ländern durch.

„Ich bleibe optimistisch“, sagt Sachsens SPD-Chef und Spitzenkandidat Karl-Heinz Kunckel. Woher er seinen Optimismus nimmt, ist unklar: Nach letzten Umfragen muss die SPD zum ersten Mal fürchten, hinter der PDS nur noch drittstärkste Kraft zu werden. Trotzdem wird Kunckel nicht müde, sein Wahlziel zu agitieren: die absolute CDU-Mehrheit knacken. Er wurde bereits mit einem Boxer (FR) verglichen. Kunckel sei eher ein Nehmer und Steher. Kein elegant tänzelnder Champ, keiner, der taktiert, der austeilt, der hart zuschlägt. Er kann gut einstecken. Mit seinem vehementen Festhalten an kaum Erreichbarem arbeitet er auf den nächsten Knockout geradezu hin.

Dabei ist sein Problem weniger in Berlin als vielmehr in Dresden zu orten. „Rente mit 65, Kurt“, stand auf einem Transparent, das Jusos den Delegierten zum vergangenen CDU-Parteitag in Leipzig entgegenreckten. Minsterpräsident Biedenkopf, bald 70, denkt überhaupt nicht ans Aufhören. Seine Popularität in Sachsen ist ungebrochen. Kunckel, nicht gerade ein glänzer Rhetoriker, hat gehörige Probleme, sozialdemokratische Alternativen aufzuzeigen. Über zwei Drittel der Sachsen sind mit der Regierungsarbeit zufrieden. Zumindest die nächsten fünf Jahre will „König Kurt“ weiterregieren. Nach den letzten Umfragen – für die CDU wurden 55 Prozent registriert – steht dem nichts im Wege. Die SPD kommt auf 17, die PDS auf 18 Prozent.

Die Situation heute erinnert stark an 1994. Während Biedenkopf zur damaligen Landtagswahl 58 Prozent einfuhr, musste sich Kunckel mit 16,8 Prozent begnügen. Das schlechteste Ergebnis einer Landes-SPD deutschlandweit.

Biedenkopf findet das Verhalten seines Widersachers „bemerkenswert“. „Woher hat der Kunckel damals nur die Kraft genommen weiterzumachen?“ Der Steher, der nach dem miserablen Ergebnis nur kurz an Rücktritt dachte, will das Blatt diesmal mit einem „modernen Wahlkampf“ doch noch wenden. „Aufbruch 99“ heißt das Motto. Auf dem azurblauen Wahltourbus steht groß www.spd-sachsen.de, und der Wahlkampfstab tagt in einer „Sachsen-Kampa“. Hinzu gesellt sich eine prominente Wahlkampfmannschaft: Der ehemalige Uni-Rektor Cornelius Weiss, Sachsens DGB-Chef Hanjo Lucassen und der Druckereibesitzer Karl Nolle belegen die Listenplätze vier bis sechs. Wenigstens 31 Prozent sind, wenn die PDS ihr Ergebnis hält, nötig, damit Sachsen endlich wieder ein bisschen rot wird.

Die miserablen Umfrageergebnisse haben die Basis desillusioniert. Dresdens SPD-Chef Manfred Müntjes fürchtet, mit diesem Spitzenkandidaten abermals zu scheitern. Hinter dem Rücken des Parteichefs wird bereits Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee als Kunckel-Nachfolger ins Spiel gebracht. Doch der Steher wehrt sich tapfer: „Am 20. September beginnt nicht die Zeit nach Kunckel.“

Bernhard Vogel, Thüringens christdemokratischer Ministerpräsident, steht am Straßenrand. Überlebensgroß, verschränkt er die Hände hinter weißem Scheitel, zufrieden und entspannt lächelnd. Die Botschaft ist einfach: Seht her, das hab' ich erreicht.

In der Tat kann sich Vogel entspannt zurücklehnen. Der größte Anstieg beim Bruttoinlandsprodukt, die höchste Exportquote der neuen Länder, das größte Plus bei den Industriearbeitsplätzen und mit 14,3 Prozent die geringste Arbeitslosenquote Ostdeutschlands – Thüringen hat Sachsen mittlerweile als Klassenprimus im Osten abgelöst. Vogels Chancen, das Regierungsruder fünf weitere Jahre in der Hand zu halten, sind nach letzten Umfragen ausgesprochen gut. Insgeheim kann er sogar mit einer CDU-Mehrheit liebäugeln und so die verhasste große Koalition beenden.

Die will auch Richard Dewes, Innenminister und Spitzenkandidat der Thüringer SPD, beenden. Dewes ist das glatte Gegenteil von Kunckel. Thüringens SPD-Chef weiß, wie man austeilt. Dewes ist einer, der sich schlägt, er polarisiert, kämpferisch und aggressiv. Mal keilt er sich mit Thüringens Ex-Innenminister Willibald Böck wegen dessen Hausumbau, mal macht er Andeutungen über eine Zusammenarbeit mit der PDS. Der 51-jährige Saarländer ist immer für eine Schlagzeile gut. Mit Ausnahme der ÖTV-Landesvorsitzenden Claudia Rühlemann besteht seine Kernmannschaft aus allen bisherigen SPD-Ministern.

Unklar ist, warum Dewes, der Innenminister, in der Endrunde des Wahlkampfs auf Deckung geht. Zuerst erschossen Polizisten einen Rentner, den sie mit dem gesuchten Mörder Dieter Zurwehme verwechselten. Dienstherr Dewes tauchte, statt vor Ort zu erscheinen, fast zwei Tage lang ab. Schließlich ließ er sich zu der Erklärung hinreißen, „so etwas“ könne immer mal wieder vorkommen. Als beim Bundesinnenminister Rudolf Seiters „so etwas“ vorkam – 1993 wurde bei einem Polizeieinsatz in Bad Kleinen der als Terrorist steckbrieflich gesuchte Wolfgang Grams erschossen –, trat Seiters zurück. Dewes schloss einen Rücktritt kategorisch aus.

Kürzlich vermisste das Landeskriminalamt mehrere Kilogramm Sprengstoff bei der Polizei. Zwar ergab eine interne Kontrolle, dass hauptsächlich Buchungsfehler Ursache der Fehlmenge sind. 400 Gramm bleiben aber nach wie vor verschwunden. Ein gefundenes Fressen für die CDU-Wahlstrategen: Landtagsabgeordnete werfen Dewes mangelnde Aufsicht und „eine unglaubliche Schlamperei“ vor. Und dann ist da noch die wegen der Berliner Sparpläne gestrichene ICE-Trasse durch Thüringen. Ministerpräsident Vogel möchte die SPD für eine gemeinsame Bundesratsinitiative zum Bau der Strecke Nürnberg - Erfurt gewinnen. Doch aus Rücksicht auf des Kanzlers Sparpläne kneift Dewes. Das ist den Thüringern nur schwer zu vermitteln.

„Ich will Ministerpräsident werden, egal wie“, hat der SPD-Spitzenkandidat einmal gesagt. Damit meinte Dewes die PDS. Schon in der zu Ende gegangenen Legislaturperiode hätten SPD und PDS eine Mehrheit von vier Sitzen gehabt. Immer wieder schwadronierte Dewes, dass ein Zugewinn beider Parteien geradezu ein Wählerauftrag zur Bildung einer rot-roten Koalition bedeute. Darüber war in Thüringens SPD ein heftiger Streit entbrannt. Dewes schlug elegant vor: Erst ein Parteitag nach der Wahl solle bestimmen, ob man mit der PDS oder der CDU die neue Regierung bilde.

In Thüringen wird bis zum Wahlabend die Spannung steigen. Zwar legt die CDU weiter kräftig zu, liegt jetzt bei 44 Prozent. Hätte die letzte Umfrage aber auch am Wahlabend Bestand – 26 Prozent für die SPD, 19 Prozent für die PDS, elf Prozent für die „Anderen“ (darunter DVU mit drei, FDP und Grüne mit je zwei Prozent) –, würde das linke Lager über ein Mandat mehr verfügen. Vielleicht wird der Osten ja doch noch rot?