„Die Russen kommen hier nicht rein“

Tausende von Albanern blockieren die Zufahrtswege nach Orahovac. Die Bevölkerung lehnt die Stationierung russischer KFOR-Einheiten ab. Joschka Fischer zeigt sich über die Lage im Kosovo beunruhigt    ■ Aus Orahovac Erich Rathfelder

Braun gebrannt stehen sie in der sengenden Sonne an den Barrikaden und richten ihren Blick auf die Höhe eines Gebirgszuges, auf dessen Kamm die Straße nach Mališevo verschwindet. Dort oben seien die Russen stationiert, erzählt der 18jährige Bekim, der seit drei Tagen an den Barrikaden vor Orahovac ausgeharrt hat. Sie sind mit Nato-Draht gesichert, auf den in drei Sprachen angebrachten Plakaten drückt sich die Stimmung der Kosovo-Albaner aus: „Russen, nein danke“, ist da auf deutsch zu lesen, „Rushian out of Rahovec“, und in anrührendem Deutsch „Von Russen haben wir massakrieren“.

Auch der 55-jährige Hamzi Sahiti ist aus Orahovac hierher gekommen, um zu demonstrieren. Die Bevölkerung der Stadt lehnt die Stationierung von russischen KFOR-Truppen ab. „Die Russen kommen nicht in unsere Stadt, nicht einmal in unseren Bezirk“, sagt er und zeigt auf das weite Tal, das sich nach Westen hin öffnet. „Überall auf den Straßen, bis nach Zrze, bis nach Suva Reka, sieht es so aus wie hier.“

Tausende Menschen stehen auf der Straße, liegen im Schatten der Bäume oder haben es sich in der Nähe der quer über den Fahrdamm gestellten Lastwagen und Traktoren bequem gemacht. Das, was die KFOR-Sprecher noch am letzten Wochenende nicht wahrhaben wollten, ist eingetreten: Die gesamte albanische Bevölkerung der Region ist mobilisiert. Sollten die Russen versuchen, in den Bezirk einzudringen, werden sie wohl Gewalt anwenden müssen.

Der Grund für die kompromisslose Haltung der albanischen Bevölkerungsmehrheit von Orahovac ist nicht die Stationierung der russischen Truppen als solche. Es ist vielmehr die Vermutung, dass die russischen Truppen die in der Stadt verbliebenen Serben unterstützen würden. Rund 1.000 Serben haben sich in einem östlichen Stadtteil verschanzt, 3.000 weitere leben in dem von holländischen und deutschen KFOR-Truppen geschützten Dorf Velika Hoca, das nur sechs Kilometer östlich von Orahovac gelegen ist.

„Russische Freiwillige“, so sagen die Blockierer, „haben in den vergangenen Monaten auf Seiten der Serben gekämpft und viele Massaker begangen.“ In Orahovac selbst, wo es schon im Juli 1998 zu einem Massaker gekommen war, bei dem mehrere hundert Menschen ums Leben gekommen waren, und während dieses Frühjahrs in den umliegenden Dörfern. So in Pustasel 106 Menschen, in Velika Kruša, Zrze, Kotlina und anderen Orten Hunderte von Menschen.

13 Massengräber sind in den Dörfern dieses Bezirkes und der Stadt selbst bisher entdeckt worden. Die Bevölkerung befürchtet nun, dass die Russen helfen werden, die Spuren der Verbrechen zu verwischen. „Wir wissen, dass in Bosnien und in Ostslawonien, wo auch russische Truppen stationiert sind, die Leichen aus Massengräbern verschwunden sind“, sagt Jahja Shehu, ein einflussreicher Bürger der Stadt.

Das Misstrauen gegen den ausdrücklichen Wunsch der Russen, ausgerechnet in Orahovac einzurücken, ist auch deshalb entstanden, weil die niederländischen Truppen, die bisher in der Region stationiert waren, die serbische Minderheit in der Stadt und in Velika Hoca zu schützen wussten. Beide Enklaven sind mit Panzern gesichert, Soldaten patrouillieren auf den Verbindungswegen, einige Dutzend KFOR-Soldaten sind in den Enklaven stationiert. Die Sicherheit der Serben sei durch die KFOR-Soldaten verbürgt, sagen die Demonstranten. Und sie bleiben dabei: „Wir werden die Russen nicht in unserer Stadt und unserem Bezirk dulden.“

„Nach dem Einrücken der Russen ändert sich nichts“

Im Hauptquartier der deutschen Truppen in Prizren, die den Oberbefehl über alle KFOR-Truppen in der Region ausüben, weiß man nicht so recht, wie auf die neu entstandene Lage zu reagieren ist. Die deutsche Feldjägertruppe, die in der Stadt Polizeifunktionen übernommen hat, wurde auf 80 Mann aufgestockt. „Wir wollen der Bevölkerung die Sicherheit geben, dass sich auch nach einem Einrücken der Russen eigentlich nichts ändert. Die Deutschen üben ohnehin den Oberbefehl aus“, sagt einer der Offiziere. Die Deutschen Soldaten äußern zwar Verständnis für die Albaner. An der Entscheidung der Politiker aber lasse sich nicht rütteln, bedauern einige. Sie wissen, sollte sich die Lage zuspitzen, müssten sie den Kopf für eine Politik hinhalten, die ihnen unverständlich ist.

„Gewalt wird nicht angewendet“, sagt der deutsche General Sauer. Die Anwendung von Gewalt hatten am Dienstag auch die beiden Außenminister Frankreichs und Deutschlands, Fischer und Védrine, anläßlich ihres Besuches im Kosovo ausgeschlossen – sowohl in der Stadt Kosovska-Mitrovica, wo sich serbische Bewohner im Nordteil der Stadt verbarrikadiert haben, wie auch in Orahovac. „Wir müssen verhandeln, verhandeln und noch einmal verhandeln“, erklärte Joschka Fischer gegenüber der taz.

Der deutsche Außenminister fühlte sich bei dem Thema Orahovac sichtlich unwohl in seiner Haut. Während einer Pressekonferenz in Priština erklärte er auf die Frage, ob die Entscheidung über die Stationierung russischer Truppen schon bei den Verhandlungen in Helsinki im Juni dieses Jahres getroffen worden sei, dass „Amerikaner und Russen dort in bilateralen Gesprächen den Beschluss zur Stationierung russischer Truppen in Orahovac gefasst haben“. Dieser Umstand böte ein weites Feld für Spekulationen, fügte er sibyllinisch hinzu.

Noch wissen die Politiker offenbar nicht, wie sie auf die neu entstandene Lage reagieren sollen. Der Hoffnung, die albanische Bevölkerung werde sich beruhigen und nach einigen Tagen ihren Widerstand aufgeben, wird jetzt von den eigenen Militärs widersprochen. Und der Umstand, dass rein serbische Enklaven entstanden sind, die von KFOR-Truppen geschützt werden, verstößt gegen den Geist der Intervention der Nato im Kosovo. Hubert Védrine, der französische Außenminister, möchte diesen Zustand auch nur als einen „Übergang“ definiert sehen, die Lage müsse sich erst beruhigen. Die Bewegungsfreiheit für alle Bürger sollte so schnell wie möglich wiederhergestellt werden, bekräftigte Joschka Fischer.