■ Das Portrait
: Das Gesicht der Kugel

Zum dritten Mal in Folge Kugelstoß-Weltmeisterin: Astrid Kumbernuss (29) Foto: AP

Wie eine Kugelstoßerin sieht sie nicht aus, die neue, alte Weltmeisterin im Kugelstoßen. Eine Grazie ist natürlich auch Astrid Kumbernuss (29) nicht: 1.86 Meter groß und rund 85 Kilo schwer, wölben sich bei ihr aber keine obszönen Muskelwülste, schwabbeln keine Fettringe. Und ihr Gesicht ist immer noch so knuddelig wie früher. „Ich bin total begeistert von mir“, sagte sie, als sie in Sevilla mit 19,85 Metern zum dritten Mal in Folge den WM-Titel errungen hatte. Es war ihr „schönster und schwerster“.

Schwer war er, weil der Ring zwar ihre Welt ist, aber diese Welt die Neubrandenburgerin 20 Monate lang nicht betreten hatte – Babypause. Der Vater ihres Sohnes ist zugleich ihr Trainer: Dieter Kollark, fast 30 Jahre älter und in der Szene wegen seiner Zeit als DDR-Trainer nicht gerne gelitten. Trotzdem: Kollark gab dem Kugelstoßen mit Kumbernuss wieder ein Gesicht. Es wollte früher ja keiner hingucken, wenn Mannweiber aus dem Osten die Kugel packten und über 22 Meter wuchteten. Dann kam die Wende, und irgendwann kam Kumbernuss, und sie brachte in diese schwerfällige Disziplin so etwas wie Eleganz.

Und jetzt ist sie wieder da, obwohl der Neubeginn frustrierend gewesen sei, „ich habe gejault und viel geweint“, sagt sie. „Es war alles weg.“ Fünf Kilo fehlen ihr zum alten Wettkampfgewicht, „dabei stopfe ich in mich rein, was geht“. Daher stieß sie am Mittwoch einen Meter kürzer als gewohnt. Aber das reichte, weil Kugelstoßen derzeit tatsächlich einigermaßen dopingfrei zu sein scheint – zwei Rivalinnen sind zur Zeit gesperrt.

Empfindet sie da Genugtuung? Oft genug hatte sie ihre eigenen Kontrollen aufgezählt und die Ukrainerin Vita Pawlitsch an den Pranger gestellt. „Nein, das bringt nur das Kugelstoßen in Verruf“, sagt sie. „Und das ist mein Beruf, mein Hauptverdienst. “ Der schon mal, wie in Sevilla, 60.000 Dollar auf einen Stoß einbringt.

Es wird die Frau mit den optimalen Hebelverhältnissen ärgern, dass fast alle damit gerechnet haben, dass sie bei der WM gewinnt. Denn sie gewann ja früher immer, bis zu 52mal in Folge. Das gab ihr etwas Steffihaftes, Siege wurden zur Normalität, die Freude zur Routine.

Dabei kann die Olympiasiegerin damit umgehen, wenn die Normalität in Wahnsinn umschlägt. Als sie kürzlich den DFB-Pokal auslosen durfte, geriet das Ritual zur Posse. Ein DFB-Bürokrat beschuldigte Kumbernuss, die Glücksfee, die Lose verwechselt zu haben, Moderator Hartmann feixte, und nur eine zeigte in dem Chaos Format: die Kugelstoßerin. Rüdiger Barth