Venezuelas Parlament entmachtet

■ Die Verfassunggebende Versammlung reißt immer mehr Befugnisse an sich. Die Opposition spricht von Staatsstreich

Berlin (taz) – Ein Land wird umgebaut: Am Mittwoch hat die neu gewählte Verfassunggebende Versammlung in Venezuela das Parlament weitgehend entmachtet. Es soll künftig nur noch für Außenpolitik, Steuergesetzgebung und den Telekommunikationssektor zuständig sein. Seine bisherigen Funktionen werden nunmehr von einem Ausschuss aus vier Mitgliedern der Verfassunggebenden Versammlung und drei unabhängigen Politikern übernommen. Ein Abgeordneter der Opposition erklärte, das Parlament sei „tot“. Das Vorgehen der Verfassunggebenden Versammlung bezeichnete er als „Staatsstreich“.

Erst vor einer Woche hatte die Verfassunggebende Versammlung ein Dekret erlassen, wodurch das Justizwesen reformiert werden soll. Danach können Richter überprüft und entlassen werden. Cecilia Sosa, Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, war daraufhin am Dienstag aus Protest zurückgetreten. „Das Gericht hat Selbstmord begangen, um nicht ermordet zu werden. Das Ergebnis ist das gleiche. Es ist tot. Die letzte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit und der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen ist verschwunden“, so Sosa.

Der zweimalige venezolanische Präsident Carlos Andrés Pérez sagt schon das Ende von Chávez voraus: Zwei Jahre gibt er dem Emporkömmling noch. „Ich bin kein Freund von Putschen oder gewalttätigen Aktionen, aber es ist klar, dass so etwas passieren wird“, so Andrés Pérez. Was in Venezuela bis dahin passieren wird, macht ihm Sorgen: „Das Schlimmste ist, dass es einer unbestimmten Zukunft entgegengeht“, so Andrés Pérez. Er sieht eine Militärregierung auf Venezuela zukommen.

Immer wieder hat sich Chávez in die lateinamerikanische politische Debatte eingemischt. In der Wirtschaftspolitik sei eine Abkehr von den neoliberalen Konzepten der Regierungen dringend nötig, da die sozialen Kosten enorm seien, erklärte er. Der Markt sei fast zum Gott geworden. In allen Ländern des Kontinents suchten die Menschen nach einer Gelegenheit, um gegen die soziale Misere auf die Straße zu gehen. Die Rezepte aus der Küche des Internationalen Währungsfonds (IWF) seien gescheitert. „Wir müssen einen neuen Weg für unsere Länder finden. Wir müssen aufhören, automatisch neoliberale Modelle zu kopieren, die uns aufgezwungen werden“, so Chávez.

Etwa 80 Prozent der Venezolaner lebt in Armut, und die politische Klasse ist hoch korrupt. Provinzgouverneure füllen sich die Taschen mit Geldern für öffentliche Projekte. Geplante Straßen wurden häufig nie gebaut, das Geld floss stattdessen direkt in die Taschen der herrschenden Klasse.

Chávez hingegen tritt als Beschützer der Armen auf. Als Anhänger Simon Bolivars möchte er die Beziehungen zwischen den lateinamerikanischen Ländern verstärken und die Einmischung von außen verringern. Daher auch sein Engagement in Kolumbien und die Kritik an seinen lateinamerikanischen Kollegen in Sachen Neoliberalismus. Damit bringt er Bewegung in das politische Leben des Kontinents. Zweifelsohne ist Chávez ein Populist, der den Massen erzählt, was sie hören möchten. Ebenso deutlich kommt sein militärischer Geist immer durch. Er ist eben ein karibischer Perón.

Ingo Malcher