Beben erschüttert Türkische Gemeinde

Ihr Chef Hakki Keskin bringt mit seiner Kritik an den Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung die Deutschtürken gegen sich auf. Hauptsponsor der türkischen Dachorganisation erklärt seinen Austritt  ■   Von Eberhard Seidel

Berlin (taz) – Das Erdbeben hat nicht nur das politische System in der Türkei kräftig durcheinandergewirbelt. Es droht auch die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) zum Einsturz zu bringen. Als Abrissunternehmer betätigt sich kein Geringerer als deren erster Vorsitzender Hakki Keskin.

„Fünf Millionen Mark aufgestockte Soforthilfe der Bundesregierung für die Erdbebenopfer in der Türkei ist unwürdig für ein reiches Land wie Deutschland.“ Mit dieser Bemerkung hat sich Keskin wenig Freunde gemacht. Außer der PDS und dem außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU im Bundestag, Karl Lamers, mag Keskin niemand folgen. Am wenigsten die Deutschtürken.

Am Mittwoch trat der Hamburger Reiseveranstalter Vural Öger aus der TGD aus. Damit hat die Gemeinde nicht nur ihr prominentestes Mitglied, sondern auch ihren Hauptsponsor verloren. Öger: „Die Aussagen von Herrn Keskin sind eine Unverschämtheit angesichts der großen Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung und der vielen Initiativen, die die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht hat.“ Und sichtlich erregt schiebt der größte Anbieter von Türkeireisen hinterher: „Manche kritisieren die deutsche Regierung, ohne selbst fünfzig Mark gespendet zu haben.“

Tatsächlich ist die TGD bislang nur mit Verbalradikalismus aufgefallen, weniger durch konkrete Hilfsmaßnahmen für die Opfer des Bebens. Auf der Homepage der Dachorganisation stößt man auf gähnende Leere. Die letzte Aktualisierung erfolgte im Mai. Was die TGD nicht leistet, schafft zum Beispiel AYPA-TV, ein kleiner lokaler deutsch-türkischer Sender in Berlin, der auf seiner Internetseite (aypa.de) all die Informationen bietet, die Hakki Keskins Organisation verschlafen hat. Auch Öger ist längst zur Tat geschritten. In seinen Hotelanlagen bietet er 5.000 Betten für Obdachlose und hat mit der Deutsch-Türkischen Stiftung bereits 150 Tonnen Hilfsgüter in die Krisenregion transportiert. Nun organisiert er mit Hamburger Freunden den Bau eines Waisenheims mit Kindergarten und Schule.

Die undifferenzierte Kritik bei gleichzeitiger Untätigkeit der TGD empört zahlreiche türkische Organisationen, die bis an den Rand der Erschöpfung Hilfsaktionen organisieren. Meist in enger Zusammenarbeit mit deutschen Behörden und Partnern. Für Cem Özdemir steht fest: „Hakki Keskins intellektuelles Niveau ist eine Beleidigung der Deutschtürken. Wir können uns solch einen Vertreter nicht mehr leisten.“ Ähnlich sehen es Organisationen wie der Rat türkischer Staatsbürger, die Deutsch-Türkische Stiftung aus Hamburg, die alewitische Gemeinde sowie die Türkisch-Deutsche Gesundheitsstiftung. Sie alle sind von Keskins Kritik abgerückt. Auch die ehemalige Sprecherin der TGD und einstige Vertraute Keskins, Emine Demirbüken, meint: „Der Skandal zeigt, wir brauchen eine neue Generation, die uns repräsentiert. Die eine andere Tonlage beherrscht, die mutiger ist und Integration anders als Leute wie Keskin definiert.“ Sollte dies nicht bald gelingen, so Demirbüken, sei die Türkische Gemeinde politisch tot.

Ungeachtet der Kritik hält Keskin an seinen Vorwürfen fest – und sich weiterhin für den Häuptling aller Türken in Deutschland. Gegenüber demHamburger Abendblatt erklärte er gestern: „Ich sage, dass Deutschland mehr tun kann. Ich bin Sprecher der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Ich sage Ihnen, wie die Türken denken, nicht nur meine höchstpersönliche Meinung. So denken 99 Prozent aller Türken.“ Keineswegs. „Die Türken sind von der Anteilnahme und Bereitschaft der Deutschen, Hilfe zu leisten, eher berührt. Mit aller Entschiedenheit möchte ich Keskins Vorwurf zurückweisen“, antwortet Mahmut Erdem, Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft.

Nur noch einer hält in Treue fest zu Keskin. Safter Cinar, zweiter Vorsitzender der TGD. In einer Presseerklärung kritisierte er Cem Özdemir: „Seine Äußerungen zeigen, dass Jugend und neurechte Gesinnung nicht vor Torheit schützen.“

Inzwischen hat Joschka Fischer die wichtigsten türkischen Organisationen ins Auswärtige Amt eingeladen, um mit ihnen die deutsche Hilfe für die Türkei zu besprechen.