Das ganze Jahr Fußball-WM

Seit der Vatikan beschlossen hat, Jesus Christus' runden Geburtstag besonders pompös zu begehen, und für das Jahr 2000 ein Programm in Aussicht gestellt hat, das alles Dagewesene in den Schatten weist, ist das sowieso schon chaotische Rom total aus den Fugen geraten. Zukunftsplanung als Farce schildern Georg Gindely und Werner Raith

Die Reisegruppe irrt seit geraumer Zeit um die Villa Giulia herum: Das weltberühmte Etruskermuseum mit den schönsten Sarkophagen und Schmuckstücken aus der frühen Römerzeit ist eingehüllt von Baugerüsten, und Reiseleiterin Maria sucht verzweifelt nach dem Eingang. Ein gutes Dutzend Schilder weist zwar zum „Ingresso“, aber alle zeigen in eine andere Richtung. „Vorige Woche kam man auf der Südseite hinein“, schwört Maria, „jetzt ist da zu.“

Wie am Etruskermuseum fahnden derzeit täglich viele Tausende Rombesucher nach den in ihren Reiseführern angegebenen Sehenswürdigkeiten. Viele der Bauwerke sind kaum auszumachen – verhüllt von Gazevorhängen, eingerahmt von Malerrampen oder schlicht nicht auffindbar, weil die Zugangswege gesperrt sind. Die Begründnung für die Malaise ist immer dieselbe: Das „Giubileo“, das Heilige Jahr der katholischen Kirche, lateinisch iubilaeum genannt und alle 25 Jahre Anlass zu riesigen Pilgerströmen in die Ewige Stadt. Tatsächlich haben viele der Gerüste nur wenig mit dem kirchlichen Anlass zu tun, dienen normalen Restaurationsarbeiten und Umbauten. Doch der Unmut der Bürger und Besucher ist wohl geringer, wenn man alle Hindernisse und Unbequemlichkeiten mit dem Großanlass des Jahres 2000 begründet, von dem man sich auch ansehnliche finanzielle Einkünfte verspricht. Dass die vielen Umbauten aber auch der Stadtsanierung dienen sollen, wie der grüne Bürgermeister nicht müde wird zu versichern, hat sich inzwischen längst als frommer Wunsch erwiesen: Gerade die Vielzahl nicht miteinander koordinierter, nur formell dem Heiligen Jahr zugeordneter Bauten blockiert die längst überfällige Modernisierung wohl auf Jahre hinaus. Selbst notorische Heiligjahr-Muffel wie der Gründer des „Weltlichen Beobachters des kirchlichen Giubileo“, Giovanni Negri, senden flehende Blicke gen Himmel: „Nur ein Wunder Gottes kann Rom nächstes Jahr retten!“

Raum muss geschaffen werden für unzählige besondere kirchliche Feiern, zu denen oft Hunderttausende Besucher an einem Tag erwartet werden, Kirchen und Plätze müssen renoviert werden, und tunlichst sollte auch eine Reihe bleibender architektonischer Monumente entstehen.

Als wäre ein ganzes Jahr lang Fußballweltmeisterschaft“, meint mit einem wenig sakralen Vergleich Maurizio Pucci, der als städtischer Koordinator der Baustellen für das Giubileo wirken soll. Dass jetzt eine völlig neue Infrastruktur geschaffen werden muss, war von Anfang an klar. Und so hetzt Herr Pucci von Telefon zu Besprechung zu Interview und versucht, 400 Baustellen miteinander zu koordinieren, die Sanierung voranzutreiben und das Ganze obendrein den Bürgern zu verklickern. Laut Gesetz müssen die Arbeiten am 30. November 1999 abgeschlossen sein. Eine unabhängige Stelle kam bereits Ende März zu dem Schluss, dass ein Drittel der Vorhaben höchst gefährdet sei und ein weiteres Drittel auch nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit halbwegs fertiggestellt werden könne. Doch Rutelli beschwor wieder einmal das Prinzip Hoffnung: „Sicher ist es nicht, dass wir alle Arbeiten bis zum Giubileo zu Ende führen werden, aber ich bin optimistisch. Wir werden es schaffen!“ Sein Wort in Gottes Ohr. Von wirklichen strukturellen Verbesserungen kann keine Rede sein, im Gegenteil. So sahen die seit 1995 erarbeiteten Projekte ursprünglich vor, Rom endlich von seinem Hauptproblem, dem Auto- und Busverkehr, zu entlasten. Eine dritte Metrolinie sollte gebaut werden, die stündlich 30.000 Pilger vom Lateran zum Petersplatz – den Hauptzentren der Kirche – bringen sollte, weitere Tramlinien, S-Bahn-Verbindungen ins Umland sollten entstehen, dazu eine große Ausfallstraße in nordwestlicher Richtung gebaut werden. Als besondere Attraktion sollte die Gegend um die Engelsburg total zur Fußgängerzone, der Verkehr durch einen neu zu schaffenden Tunnel geleitet werden.

Dass nun kaum etwas von alledem verwirklicht wird, begründet die Stadtregierung damit, dass das Geld des italienischen Staates, insgesamt umgerechnet etwa vier Milliarden Mark, erst im Sommer 1997 eintraf und man sich daher aus Zeitgründen beschränken musste. Das stimmt – nur: Weder hatte die Stadt bis dahin überhaupt realisierbare Projekte vorgestellt und insofern auch keine Grundlagen für den Finanzierungsrahmen geliefert, noch hatte der Vatikan bis Anfang 1999 einen genauen Plan seiner Termine und Feierlichkeiten vorgelegt. Chef-Pannenhelfer Maurizio Pucci: „Ich wäre viel lieber Baustellenkoordinator in Berlin als hier in Rom; in Berlin wird eine neue Stadt gebaut, im Gegensatz zu hier, wo die alte weiterlebt und pulsiert. Und bei jeder Arbeit stößt man auf irgendwelche Ruinen – dann drehen die Archäologen jedes Steinchen um, und alles ist erst mal blockiert.“

Ein Seitenhieb auf Professor Adriano La Regina, der als Superintendent für die archäologischen Güter der Stadt darüber wacht, dass das antike Erbe bei all der Wuselei nicht zugrunde geht. Seine spektakulärste Aktion war die Verhinderung des Tunnels unter der Engelsburg: Nach dem Fund altrömischer Bauten unter dem Momument und mittelalterlicher Ruinen in der Umgebung sowie der Erstellung einiger Gutachten, die eine Absenkung der Burg durch die Untertunnelung prophezeihten, wurde das Projekt begraben. Damit allerdings hatten Bürgermeister Rutelli und der Vatikan endlich einen Bösewicht, dem sie so ziemlich alles anhängen, was nun nicht mehr klappt. „Ich fühle mich nicht als der große Verhinderer“, verteidigt sich der Gescholtene. „Die Schlimmen sind doch diejenigen, die einfach drauflos modernisieren, ohne Rücksicht zu nehmen auf den historischen Charakter der Stadt.“ Ein Kampf zweier Modernisierungslinien. Oberarchäologe La Regina steht für diejenigen, die die Attraktivität Roms vor allem im Neben- und Ineinander jahrtausendealter Bauwerke und Ruinen sehen, von denen man nichts wegnehmen sollte. Auf der anderen Seite ist – skurrilerweise mit dem grünen Bürgermeister an der Spitze – die Partei der Stromlinienmodernisierer, die Rom den Touch einer globalisierten Weltstadt mit Glasbauten und Verwaltungstowers verpassen wollen. La Regina dagegen lapidar: „Braucht Rom wirklich Wolkenkratzer?“

Eine Retourkutsche, aber eine gelungene: Ausgerechnet der als Umweltschützer angetretene Bürgermeister Rutelli hatte das seit jeher bestehende Verbot, in Rom höher als sechs Stockwerke zu bauen, ausgesetzt, um Hotelhochäuser und Verwaltungsbauten hochzuziehen. Doch auch dafür fehlte es an rechtzeitiger Planung – „ein Glück“, wie der Weltliche Beobachter notiert. Stattdessen sucht man nun nach Unterkunftsmöglichkeiten bei Privaten.

Immer mehr zeigt sich inzwischen, dass meist eher die Nichtdurchführung der megalomanischen Projekte zur Stadtsanierung beiträgt denn die Realisierung des Geplanten. Dafür sprechen auch die Erfahrungen, die beim letzten Großanlass, der Fußballweltmeisterschaft 1990, gemacht wurden: Da wurden zum Beispiel vier neue Bahnhöfe gebaut – die stehen jetzt allesamt ungenutzt herum; in den Bahnhof Vigna Clara fuhren in seiner zehnjährigen Geschichte gerade mal zwei Züge ein. Natürlich geben auch die Verfechter das „alten Rom“ zu, dass der Großanlass 2000 eine Chance für so manche architektonische Neuerung hätte sein können. Tatsächlich wird am Ende außer dem Auditorium, einem großen Musikzentrum nahe dem Flaminio-Stadium, nichts mit bleibendem Wert entstanden sein. Die in den letzen Monaten mit großem Pomp eröffneten vier neuen Museen werden zwar auch dem Giubileo zugerechnet, sind aber tatsächlich lediglich verspätete Projekte vergangener Jahrzehnte.

Der letzte „Modernisierungsschub“ reicht schon fast ein Dreivierteljahrhundert zurück. Damals war unter dem Faschismus die Weltausstellung 1942 geplant, und dafür legte man im Süden der Stadt ein neues Viertel an, das dann auch für die Olympischen Spiele 1960 diente und die Stadt bis heute mit breiten Ausfallstraßen an den Süden Latiums anbindet. Einen ähnlichen Effekt erhoffte man sich auf der anderen Seite der Stadt mit der Anlage neuer Trassen und Viertel in Richtung Nordosten. Doch seit die voreilig als sicher angenommene erneute Zuteilung der Olympischen Spiele 2004 ausblieb, ist auch hier der Antrieb zur Fertigstellung nur noch mäßig.

Bei der Planung zum Jubeljahr hat sich einzig und allein die Kirche mit ihren Bedürfnissen durchgesetzt – und zwar die katholische. Alle anderen Glaubensgemeinschaften wurden rigoros ausgegrenzt, auch wenn ihre Mitglieder über ihre Steuergelder das Jubeljahr mitfinanzieren. So zieht faktisch allein die Wojtyla-Kirche den Profit aus allem: War das Heilige Jahr bis 1975 stets eine eher innerkirchliche Angelegenheit gewesen, zu gestalten und ganz überwiegend zu finanzieren über den Vatikan und die Gläubigen selbst, so hat dieser Papst es geschafft, dem italienischen Staat und der Stadt Rom alle Lasten aufzubürden und gleichzeitig die Einnahmen weitgehend in seine eigenen Kassen zu leiten – etwa die Übernachtungsgebühren vieler Millionen Pilger in Klosterkonventen und kirchlichen Schuleinrichtungen.

„Saniert wird schon“, murrte in einem überaus heftigen Artikel das Wochenmagazin L'Espreo, „aber vermutlich gilt das am Ende nur für die Finanzen des Vatikans.“ Die meisten Römer, und nicht nur die Muffel des Weltlichen Beobachters, sehen das inzwischen auch so.