■ H.G. Hollein: Schwarz auf Weiß
Die Frau, mit der ich lebe, findet, ich müsse geistig beweglicher werden. Das kann sie haben. Habe ich doch unlängst am Bahnhofskiosk für DM 4 zugegriffen und „Rochade“ erstanden, „Die vielseitig-informative Schachzeitung“. Eine gut angelegte Investition, wie sich bei näherer Lektüre zeigte. So konnte ich aus dem Stand mit einem praktischen Geschenktip aufwarten, als mich die Gefährtin um Rat bat, was man denn ihrer Kollegin K. zum wohlverdienten Abschied präsentieren könne. Ein Satz Gartenschachfiguren macht sich auf K.s Niendorfer Rasenfläche gewiß ganz hübsch. Was das Geistige angeht, ist mir die Welt, die ich mich da zu betreten anschicke, allerdings nicht ganz geheuer. Bretthinweise wie „Damen-, Königs- oder Nimzowitschindisch“ assoziiere ich auf den ersten – zugegeben verdorbenen Blick – noch eher mit Kamasutra- als mit Schachfiguren. Aber wozu gibt es „Das 1x1 der Schacheröffnungen“ als interaktiven Einführungskurs? Wozu in der Tat? Links ziehen, rechts gewinnen, so kenne ich das. Aber da muß ich wohl umlernen. Mein Hauptproblem, das sehe ich schon kommen, ist eine flexible Regelauffassung, die mir mein Vater großzügig durchgehen ließ. So glaube ich zum Beispiel nicht, dass ich in einem Schachcafé mit meiner Jokertheorie oder der Möglichkeit, zwischenzeitig ein paar Figuren dazuzukaufen, großen Anklang finden werde. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so. Denn wie ich den diversen Biographien von Großmeistern entnehme, mit denen die „Rochade“ so liebevoll gesprenkelt ist, zeichnet die meisten dieser Geistestitanen aus, dass sie tot sind. So was gibt zu denken. Vielleicht reicht es der Gefährtin ja, wenn ich allabendlich eine halbe Stunde auf ein knifflig arrangiertes Brett starre und dann und wann gedankenschwer den rechten Arm ausfahre. Auf jeden Fall weiß ich, wohin unser Weg führen wird, sollten wir einmal nach Wien kommen: In die Nußdorfer Straße 33, zu Schach Mattes.
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