Rote Autos sind bestimmt schneller

■ ADAC warnt vor Autofahrern: Grundschul-Kinder sollten nicht allein mit dem Fahrrad in die Schule fahren / Bremer Verkehrswacht klärt auf: Die Gehirne der Kinder „sehen“ anders als die von Erwachsenen

Rote Autos fahren schneller als blaue, und das ist der Grund dafür, daß der ADAC allen Eltern zum Schulanfang dringend rät, Kinder bis zum Alter von 10 Jahren nicht alleine mit dem Fahrrad auf den Schulweg zu schicken. Spielerisch mit dem Zweirad umgehen lernen die Kinder oft schon mit vier Jahren, aber das heißt noch lange nicht, dass sie unvorhergesehene Situationen beherrschen können. Und „unvorhergesehenen“ Situationen fallen im Jahr an die hundert Kinder zum Opfer; während die Zahl der Kinder, die als Beifahrer im Verkehr sterben, zurückgeht, sinkt die Zahl der schweren Verkehrsunfälle mit radfahrenden Kindern nicht. Die Konsequenz der Lobby der Autofahrer: Lieber die Kinder nicht zu früh aufs Fahrrad lassen.

Die Experten von der Verkehrswacht, deren Aufgabe die Verkehrserziehung für Kinder ist, wissen auch, dass Kinder oft schlicht überfordert sind: Das Gehirn der Kinder ist nicht vorbereitet auf die Anforderungen des Straßenverkehrs. Wenn zum Beispiel halb von hinten ein PKW ankommt, dann „sehen“ Erwachsene dies im Regelfall, weil ihr Blickfeld größer als 180 Grad weit ist. Bei Kindern ist das anders, das Gesichtsfeld von Kindern ist noch nicht voll ausgebildet. Und das hat weniger mit den Sehnerven zu tun als mit der Reizverarbeitung. Das Gehirn sortiert von den unzähligen optischen Reizen, die das Auge durchlässt, diejenigen aus, die es für „wichtig“ und meldenswert hält. Dies ist das Ergebnis eines Lernprozesses. Da kann sogar der Geruch eine Rolle spielen, auf jeden Fall auch die Farbe: Rote Fahnen sieht man besser, hieß früher einmal eine Parole der Gewerkschafter, die diesen Effekt ausnutzen wollten. Und wenn ein rotes Auto im Gehirn einen größeren Eindruck hinterläßt als ein grünes, dann kann ein unerfahrenes Gehirn durchaus kombinieren, dass das auch so ist.

Nicht nur das. Das Kurzzeitgedächtnis von Kindern ist weniger ausgebildet als das von Erwachsenen, darauf weist eine Arbeit „Die Welt der kleinen Menschen“, hin, die Prof. Walter Schmolz gerade im Auftrag der Bremer Verkehrswacht fertiggestellt hat. Das bedeutet: Wenn ein kleiner Mensch nachguckt und viele interessante Dinge „sieht“, unter anderem ein herankommendes Auto, und dann vorschriftsmäßig nach rechts, dann ist es durchaus normal, dass das kindliche Kurzzeitgedächtnis den Dackel „speichert“, das herankommende Auto aber nicht. Und dann geht es darum, wie schnell das Gehirn reagiert. Eine Reaktion eines Erwachsenen auf einen unvorhgergesehenen Sinneseindruck dauert etwa eine Sekunde, ein PKW fährt in dieser Zeit bei 50 km/h etwa 14 Meter. Bei Kleinkindern ist dieselbe Reaktionszeit des Gehirns viermal so lang, der PKW wäre also mindestens 50 Meter weiter gefahren, bevor das Kind spontan reagieren kann. Wenn das Gehirn denn überhaupt eine spontane Reaktions möglichkeit abgespeichert hat.

„Nur wenn die Anforderungen des Autoverkehrs an das Gehirn soweit gefestigt sind, dass sie automatisiert sind und fast unbewußt ablaufen, kann die Aufmerksmkeit auf höhere Anforderungen im Verkehr gelenkt werden“, faßt Prof. Schmolz zusammen. Und das kann man bei Kindern erst ab einem Alter von zehn Jahren erwarten. K.W.