Eine Probe ohne Exempel

Die von Bündnisgrünen und Ersatzkassen geforderte „Modellregion Berlin“ stößt bei den Standesvetretern der niedergelassenen Ärzte auf heftigen Widerstand  ■   Von Ole Schulz

Die erzwungene Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung ist ein kostspieliges Problem des Gesundheitswesens

Die „Modellregion Berlin“ wird wohl auf sich warten lassen. Im Frühsommer hatte ein Vorschlag für Aufregung gesorgt, der die Gesundheitsversorgung der Stadt auf neue Füße stellen wollte: Um die mangelhafte Kooperation von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern zu verbessern, sollten sich Praxen und Kliniken im Rahmen eines landesweiten Feldversuches zu „Versorgungsverbünden“ zusammenschließen können, an denen auch Selbsthilfegruppen beteiligt werden. So steht es in einem umfangreichen Papier, das in einer längeren Diskussion zwischen Gesundheitsexperten der Bündnisgrünen, SPD und CDU sowie Krankenkassenvertretern entstanden war.

Ziel des Vorhabens ist es nicht zuletzt, den Wechsel zwischen ambulantem und stationärem Sektor für chronisch Kranke wie Krebs-, Aids-, Rheuma- oder Diabetespatienen zu erleichtern. Weil dazu das Monopol der niedergelassenen Ärzte auf die ambulante Versorgung aufgehoben werden müsste, laufen die Ärzte Sturm: Es drohe eine „Vernichtung der spezialisierten Facharztpraxen“, warnt Winfried Schorre, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher der Berliner Bündnisgrünen, der das Papier „in wesentlichen Teilen“ verfaßt hat, hält die heftigen Vorwürfe der Ärzteschaft für „einseitig und überzogen“: Keiner solle zum Beitritt gezwungen werden; unstrittig sei aber, dass die „gesetzlich erzwungene Trennung der ambulanten und stationären Versorgung“ eines „der großen und kostspieligen Probleme des deutschen Gesundheitswesens“ ist, so Köppl.

Jetzt will Köppl erst einmal die von Gesundheitsministerin Andrea Fischer vorangetriebene „Strukturreform 2000“ abwarten. Denn der Berliner Vorstoß decke sich ohnehin in vielen Fragen mit Fischers Programm. Sollte sie ihr Reformpaket nicht unbeschadet durchsetzen können, fordert Köppl allerdings eine gesetzliche Öffnungsklausel. Auch der Berliner Ersatzkassenchef Karl-Heinz Resch, einer der prominentesten Mitunterzeichner des Papiers, will den Vorschlag so lange nicht forcieren, bis die Ergebnisse der Bonner Gesundheitsreform feststehen. „Wir haben das Konzept bereits im März geschrieben – da haben wir noch nicht gewusst, wie couragiert Frau Fischer die Dinge anfasst.“

Weniger umstritten ist, dass strukturelle Reformen im Berliner Gesundheitswesen besonders notwendig sind: Bislang überweisen die gesetzlichen Krankenkassen rund eine Milliarde Mark nach Berlin, um die Beitragssätze einigermaßen stabil zu halten. Auf Druck der Spitzenverbände der Krankenkassen wurde schließlich im Frühjahr vereinbart, dass bis 2005 fast 800 Millionen Mark im aufgeblähten Krankenhausbereich eingespart werden müssen.

Bis zu 5.000 Stellen sind nun in den städtischen Kliniken bedroht; unlängst vereinbarten die Gesundheitsverwaltung und die ÖTV zwar, dass es in den städtischen Kliniken keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll – wie ein „sozialverträglicher“ Stellenabbau aber erreicht werden kann, muss noch in einem Personalkonzept geklärt werden. Die Ärzte befürchten, dass der bevorstehende Arbeitsplatzabbau in den Kliniken „zu Lasten der privaten Arztpraxen verringert“ werden soll, so Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin.

Fraglich ist angesichts des auf 2005 terminierten Krankenhausplanes zumindest, ob die „Berlin-Vereinbarung“ eingehalten werden kann: Darin war festgelegt worden, dass der Beitragssatz der Berliner Kassen schon 2002 nur noch maximal 0,5 Prozent über dem westdeutschen Durchschnitt liegen soll. Weil abzusehen ist, dass sich dieses Ziel in den verbleibenden drei Jahren kaum erreichen lässt, schlagen die Autoren des Modellvorhabens „schnelle ergänzende Regelungen“ vor.

Dabei setzten sie an einer Eigentümlichkeit des deutschen Gesundheitswesens an, die in Europa ein Sonderfall ist: Seit sich die Ärzte 1953 mit ihrer Forderung durchgesetzt haben, allein für die ambulante Versorgung zuständig zu sein, haben sich der ambulante und stationäre Sektor immer stärker voneinander abgeschottet. Dies sei nicht mehr zeitgemäß, meint Köppl, weil in den Industriegesellschaften chronische Krankheiten ständig zunähmen – und gerade chronisch Kranke müssten häufig zwischen Klinik und Arztpraxis hin- und herpendeln. Durch einen engeren Kontakt und besseren Informationsaustausch ließen sich zudem unnötige Doppeluntersuchungen vermeiden. „Was spricht dagegen, wenn teure Hochleistungsmedizin wie die moderne Röntgentechnik in den Kliniken auch ambulant genutzt wird?“ fragt Köppl.

Doch genau diese neue Konkurrenz fürchten die niedergelassenen Ärzte. Sie stört auch, dass für die Versorgungsverbünde ein „dritter Topf“ geschaffen werden soll, der dem Gesamtetat der KV entzogen würde. Köppl betont dagegen, dass der Vorschlag „keineswegs eine einseitige Öffnung der Krankenhäuser“ vorsehe. Werden zum Beispiel mehr Diabetiker ambulant behandelt, was möglich und sinnvoll sei, könnten davon auch niedergelassene Ärzte profitieren.

Heikel an dem Vorschlag ist, dass die Krankenkassen die Regie über das „kombinierte Budget“ der neuen Verbünde übernehmen sollen. Damit falle das Berliner Modellprojekt noch hinter den Entwurf von Ministerin Fischer zurück, „der immerhin eine Beteiligung der KVs an den integrierten Versorgungsformen vorsieht“, heißt es dazu ihm Berliner KV-Blatt. Und die KBV spricht gar vom „Marsch in den Kassenstaat“, der die ärztliche Selbstverwaltung untergrabe.

Auch in einem anderen Punkt geht der Berliner Vorschlag deutlich über Fischers Pläne hinaus: Das Apothekenmonopol soll ebenfalls aufgehoben werden – jedenfalls für die Versorgungsverbünde. Das Monopol der Apotheken sei „längst überholt“, so Köppl. „Früher haben die Apotheken selbst Arzneien hergestellt, heute verkaufen sie nur noch die Produkte der Pharmaindustrie.“ Die Versorgungsverbünde sollen Medikamente daher zu den gleichen Bedingungen wie die Klinikapotheken einkaufen dürfen. Laut Köppl ließen sich so gerade bei der aufwendigen medikamentösen Behandlung von Tumor- oder Aids-Patienten bis zu 80 Prozent der Arzneikosten einsparen.