Ein diffuses Mehr vom Leben

Währt die Pubertät zu lang, wird einem manchmal etwas bang: Dagmar Beiersdorf und Lothar Lambert berichten mit „Kuck mal, wer da filmt“ und „Made in Moabit“ aus dem Inneren der Lambert-Family  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

Die letzten Berliner Filmfestspiele waren zwar prima, doch auch ein bisschen traurig. Denn zum ersten Mal seit ca. 25 Jahren hatte es keinen neuen Film von Lothar Lambert gegeben. So machte man sich Sorgen. Was war nur mit dem verdienten Berliner Undergroundregisseur los gewesen, dessen Filme so viele Leute in den Achtziger Jahren ins wilde Westberlin gelockt hatten. Nun ja: Er hatte gedreht oder wurde gedreht, und die Ergebnisse kann man bis zum 1. September in einem Doppelprogramm in der Brotfabrik sehen.

Seine langjährige Mitarbeiterin und seelenverwandte Herzensfreundin, die Regisseurin Dagmar Beiersdorf, erzählt in ihrem Dokumentarfilm „Kuck mal, wer da filmt“ von ihrer Freundschaft mit dem liebenswerten Filmemacher; Lothar Lamberts „Made in Moabit“ lässt Freunde, Bekannte und Mitglieder der Lambert-Family über den Filmer sprechen.

Beide Filme sind eine Art entspanntes Zwischenspiel im Gesamtwerk des Filmers, der wie kaum ein anderer an der Utopie der Nichttrennung zwischem privatem und öffentlichem Leben, Kunst und Emanzipation festhält. Wo andere sich mit dreißig vom Projekt der (sexuellen, kommunikativen, wie auch immer) Emanzipation durch Kunst verabschieden, weil nur Jugendlichen zugestanden wird, zugleich lebensunsicher zu sein und ein diffuses Mehr vom Leben haben zu wollen, macht er weiter; tanzt als lustige Tunte in komischen Sachen über die Bühne durchs Bild, hat keine Angst vor Selbstmitleid, sobald es nur kommuniziert wird, ermutigt seine großartigen Laiendarsteller, die mit den Jahren zu Halbprofis geworden sind, sich – wie soll man sagen – in ihren Sehnsüchten darzustellen.

Der gesellschaftliche Raum, in dem das geschieht, hat sich natürlich verändert, seitdem Lothar Lambert Anfang der 70er Jahre seine ersten Filme drehte. Was damals als skandalös oder pornografisch galt, regt heutzutage niemanden mehr auf; was nicht unbedingt heißt, dass die Menschen unbedingt freier geworden wären im Umgang mit sich und den anderen und den diversen Minderheiten, denen Lambert sein Herz geschenkt hat, sondern vor allem, dass das Projekt von Selbstemanzipation und gesellschaftlicher Veränderung nicht mehr allzu sehr en vogue ist; dass das Private vom Öffentlichen wieder sauber geschieden wird.

So wird man manchmal ein bisschen sentimental, wenn man sich die alten Lambertfilmausschnitte (auch mit Fassbinder und John Cassavetes) in Dagmar Beiersdorfs entspanntem Dokumentarfilm anschaut; diese Ausschnitte aus dem didaktisch-kämpferischen „Berlin Harlem“, dem Lambertfilm, den das New Yorker Museum of Modern Art in seine Sammlung aufgenommen hat, oder die Ausschnitte aus seinem schönsten, sozusagen existenzialistisch-wehmütigen 80er-Jahre-Film „Fräulein Berlin“, in dem Ulrike S. so wunderbar spielt.

Oft ist es nicht so einfach, über die Filme von Lothar Lambert zu schreiben: Man gerät unversehens ins Grundsätzliche und entfernt sich damit vom Konkreten, den eigentlich in Brechtscher Einfachheit daherkommenden Geschichten. Noch schwieriger ist es allerdings, über seine Filme zu sprechen.

Als Lambert mich im letzten Jahr dazu einlud, vor der Kamera über meine Erfahrung mit seinen Filmen zu reden, kam mir das, was ich dann sagte, eigentlich eher dämlich vor, zumal ich dabei auch noch neben dem lambertverwandten Filmemacher Carl Andersen in Lamberts Dusche hocken musste. Ein- oder zweimal kriegte ich einen Lachkrampf, vor allem, weil Carl Andersen seinen Anfangssatz ständig wiederholen musste. „Ne, ich bin ja auch als Filmkritiker tätig“, hatte er gesagt, und nie gelang es ihm, das „ne“ wegzumachen.

„Kuck mal, wer da filmt“, das schöne private Doppelporträt zweier liebenswerter Filmer, und „Made in Moabit“ sind wunderbar entspannte Einführungen in das Werk von Lothar Lambert.

Als der Filmemacher sein Abi gemacht hatte, wurde ihm der Spruch „Währt die Pubertät zu lang, wird einem manchmal etwas bang“ mit auf den Lebensweg gegeben, erzählt eine Schulfreundin.

„Made in Moabit“ + „Kuck mal, wer da filmt“, Brotfabrik; bis 1. September, jeweils 21 Uhr. Ergänzt wird das Doppelprogramm mit dem frühen Lambert-Klassiker „Berlin Harlem“, der jeweils um 23 Uhr gezeigt wird.