V wie Sieg und Tod

■ Zu Gast auf dem kreuzgefährlichen Gülle-Archipel des Nordwestbalkans

Das Vogtland ist zivilisationsgeschichtlich weiß Gott ein weißer Fleck, ein abgesprengtes sächsisches Isolat mit reliktären Lebensformen, deren ausschließlicher Wunschberuf Tiermehlproduzent zu sein scheint. Jedenfalls ist dieses Berufsbild mit der ihm immanenten kriminellen Energie das einzige, wovon in vogtländischen Arbeitsämtern gesprochen und wonach heftig verlangt wird. Außerdem verlangt das gesprochene Wort (aktiver Wortschatz: 200 Vokabeln) nach hysterischen Tonlagen. Gebräuchlich ist eine an Hilfsverben reiche Diktion – tun und machen. Obwohl die Vogtländer im uns geläufigen Sinn überhaupt nichts tun. Und machen schon gleich gar nicht.

Vogtländer können trotzdem kreuzgefährlich werden. Sie sind die Schweine unter den Deutschen. Zu den ungeeignetsten Tageszeiten und Temperaturen suhlen sie sich in zahlreichen, landschaftsprägenden Talsperren. Pirk, Eibenstock, Muldenberg, Werda, Dröda, eine endlose Liste. Nur sind es keine Talsperren im herkömmlichen Sinn: Es sind künstlich angestaute Jauchetümpel.

Dabei kommt der „Talsperre“ Pöhl die traurige Eigenschaft zu, das größte Güllereservoir der Miniregion zu sein. Eintrittspreis ist eine frische Kanne Jauche, wie zu erfahren ist. Wer das nicht berappen kann, laxiert, von einer argwöhnischen Jury beäugt, einen halben Tag in die flüssigen Bestandteile dieser Sonderzone – und eigenwillige Bestechungsversuche mit Tiermehlprodukten stehen auf der Tagesordnung.

Manifestiert wird der strikte Wille zur Eigenwilligkeit auch im Autokennzeichen V. V wie Vogtlandkreis. V wie Victory, Sieg. Sieg oder Tod. Zur Zeit sieht es hier eher nach Letzterem aus. Missmutig bohren sich vereinzelte Grashalme durch die Krume. Die Sonne glüht und lässt es in den Gülle-Ozeanen rumpeln und rumoren, tagein, tagaus. Unter eben dieser Sonne und den Augen der gesamten Völkergemeinschaft spielt sich Beispielloses ab.

Die Weibchen brennen sich Stefanie-Hertel-Frisuren und rühren Tiermehlschwitzen an, die revieranzeigenden Männchen schnüren vor Feuerwehrspritzenhäusern, in verfilzlausten Handwerkerkaschemmen, vor Riesentankstellen oder einfach so herum. Schreien, stinken, lärmen, den Landfrieden brechen, Sachen beschädigen, Besitzverhältnisse in Frage stellen, Körper verletzen, an Tiermehlfladen würgen, etwas Ackerbau, ein wenig Notzucht, das ist ihre Welt. Und um diese popelige, gänzlich unfruchtbare Welt wurde seit Jahrmillionen Krieg geführt. Wir fragen uns besorgt: Warum eigentlich? Und: Warum nicht auch mal einen unter humanitären Aspekten? Denn die Vogtländer sind die Serben unter den Deutschen. Nicht umsonst rechnen die Anrainer das Vogtland dem Nordwestbalkan zu.

Nie vergessen haben seine Einwohner den Traum vom Großen Vogtland: Einen Vogtlandkreis um die Erdhöhlenstadt Plauen haben sie bereits installiert, eine Kolonie in Berlin und auch eine ständige Vertretung. Fehlt nur noch das bayerische, böhmische und das thüringische Vogtland heimzuholen in ihr Reich. Die Bayern um Hof haben sie um 1989 in extra von der Reichsbahn bereitgestellten Sonderzügen heimgesucht, ihnen den letzten Zonenrandförderungsgeldhahn abgedreht, ihr toxisches Bier ausgetrunken.

Seit dort nichts mehr zu holen ist, verwüsten sie Nordwestböhmen in allen nur denkbaren rechtserheblichen Formen, und aus den Thüringern suchen sie die Rezepte für verkohlte Bratwürste und auswurfgraue Klöße herauszufoltern. Das ist doch nicht mehr schön. Für einen dauerhaften Frieden auf diesem Gülle-Archipel gibt es daher nur eins: Bodentruppen jetzt!

Denn für einen Luftkrieg wäre das Vogtland zu winzig und zu schluchtig, und anthropologisch gesehen ist die Steinzeit (s. o.) ohnehin noch in brausend-vollem Gang. Danach müsste man freilich den Besatz mit widerstandsfähigen Kleinpopulationen auffrischen: mit Bayern, Franken, Hessen, Schwaben – den klassischen Neubesiedlern. Ob das wohl zu deichseln wäre, Herr Scharping? – Prima. Michael Rudolf