Auch das Joggen hilft Joschka nicht

Zehn Tage vor der Landtagswahl steht es schlecht um die Grünen in Brandenburg. Bei einem Besuch vor Ort bietet Außenminister Fischer den Wählern Sparpaket, Kosovo-Krieg und Nieselregen  ■   Aus Potsdam Robin Alexander

Die Sicht ist schon trüb, als Joschka Fischer mit umgedrehtem Nike-Basecap auf dem Kopf und Personenschützern an den Fersen über die Glienicker Brücke trabt. Hier über der Havel treffen sich West-Berlin und Potsdam, Nachbarstädte und fremde Welten. Bis 89 durfte kein Deutscher die mächtige Brücke überqueren. Am alliierten Übergang tauschten Amerikaner und Russen enttarnte Agenten aus. An diesem Donnerstagabend empfängt den Außenminister der Bundesrepublik kein Geheimdienst, sondern Fotografen von Lokalzeitungen und Kameras des ORB. Deutschlands Politiker mit den besten Umfragewerte besucht die Grünen in Brandenburg, denen nicht einmal jeder Zwanzigste im Land seine Stimme geben will.

Der Star im verschwitzten Sportdress keucht Kurzinterviews (18 Kilometer – „Zeit war wieder gut“). Jogging im Wahlkampf: Die Nummer ist nicht mehr neu. Im Bundestagswahlkampf hechelte Fischer seine Grünen so über die Fünfprozenthürde. Damals geisterten 5 Mark für den Liter Sprit durch die Medien und grüne Hinterbänkler verboten Urlaubsflüge, die Wähler flohen in Scharen. Aber wohin immer Joschka 1998 kam, verflog die grüne Depression. Warum soll das nicht auch in Brandenburg klappen, wo am 5. September ein neuer Landtag gewählt wird?

In den fünf neuen Ländern wohnen nur sieben Prozent der Mitglieder der Grünen. Die Partei ist in keinem Landesparlament vertreten und wird als westdeutscher Club wahrgenommen. Die Spitzenkandidatin in Brandenburg ist 40 Jahre alt und genauso fröhlich, wie ihr Name klingt: Dr. Inke Pinkert-Sältzer. Eine Politikerin, wie sie sich Politikmüde erträumen: gebildet und welterfahren, offen, sogar selbstironisch. Und bei Forsa hat sie 2 Prozent. Einzug in den Landtag unwahrscheinlich. Inke Pinkert-Sälzer ist Teil des Problems ihrer Partei im Osten. Sie hat schon im hessischen Butzbach und in New York gelebt, „war schwer frauenbewegt“ und schrieb eine Doktorarbeit über Konstantin Wecker. Die Wiedervereinigung hat sie gemeinsam mit einer französischen Jüdin in Manhattan im Fernsehen gesehen. Ein zu buntes Leben für die grauen Verhältnisse in Brandenburg? Doppelnamen wählt man hier jedenfalls nicht – und Inke-Pinke schon gar nicht. 1992 kam sie in den Osten und bildet heute Lehrerinnen aus. Sechs Grundschuljahre „ohne Leistungsdruck“ will sie den Kindern gönnen. Brandenburger Eltern fordern „Kopfnoten“ für Fleiß und Betragen.

„Aber Joschka Fischer zieht“, macht Pinkert-Sältzer sich selber Mut. Und tatsächlich sind 500 Menschen im Niesel vor dem Brandenburger Tor in Potsdam versammelt. Hier ist das viel. In der kleinen französisch-reformierten Kirchengemeinde, wo die Schwester des grünen Landesvorsitzenden Pastorin ist, hat Fischer mittlerweile geduscht. Im grauen Anzug eilt er auf das Podium: Die linke Hand in der Hosentasche, mit der rechten in Kopfhöhe gestikulierend, die krächzende Stimme, so kennt man ihn, auch hier in Potsdam. Ein Drittel des Publikums sind Fans, die Fischer schon vor einem Jahr am gleichen Ort beklatschten. Ein weiteres Drittel will einmal jemanden aus dem Fernsehen „in echt“ sehen.

Links vor der Bühne trägt ein Trupp klassisch alternativ: Wollpullis, Latzhosen, Nasenringe. Die so Ausstaffierten sind gekommen um „Mörder“, „Heuchler“ und „Kriegstreiber“ zu rufen. Fischer entgegnet: „Da sage noch einer, hier würde die Demokratie nicht toben.“ Keiner lacht. Auch die Potsdamer, die Fischer mögen, verbinden ihn mit Flugzeugen, die Bomben nach Belgrad tragen. An wackligen Tapeziertischen am Rande des Platzes kann man unterschreiben, das „Bombodrom“, eine Abwurfstelle in der Wittstocker Heide, möge endlich geschlossen werden.

Fischer wirkte im Osten immer schon fremd. Seine Biografie ist ja mindestens so irritierend wie die von Pinkert-Sältzer. Aber das Engagement für die Ablösung Kohls haben sie Fischer schon abgenommen auf den Plätzen von Dresden, Rostock und auch Potsdam. „Da war eine ganz andere Energie hinter“, erinnert sich ein Mittzwanziger mit Pferdeschwanz. Jetzt hört er von Fischer, wer in Deutschland gegen Ausländerfeindlichkeit kämpfe, müsse die Nato-Intervention „gegen Nationalismus“ gutheißen. Die nassgeregneten Zuschauer merken, dieses Argument glaubt Fischer selbst nicht.

Auch Inke Pinkert-Sältzer sinniert später: „Der Ton ist irgendwie anders geworden.“ Vor einem Jahr hat Fischer den Kohl-müden Ostlern den Wechsel ausgemalt: Veränderung, Reform, neue Politik. Jetzt hat der Prophet nur noch eine düstere Botschaft für die Diaspora: Sparen, Sparen, Sparen. Geht es um die Kürzungen des sozialdemokratischen Finanzministers, wird Fischer so fanatisch wie sein Kollege Trittin angeblich beim Atomausstieg. Fischers These, Sparen sei „links“, klingt schal in einer Gegend, wo sich der Staat schon seit zehn Jahren unaufhaltsam aus Kultur, Krankenhäusern und Kinderbetreuung zurückzieht.

Nach einer Dreiviertelstunde ist Fischer wieder im dunklen Benz Richtung Regierungsviertel unterwegs. Dem Publikum bleibt der Regen. Die jungen Leute, die wenig erfolgreich „den Kriegsminister störten“, tänzeln klitschnass und glücklich übers Kopfsteinpflaster. „Schade, dass er gar nicht über Brandenburg und die Landtagswahl gesprochen hat“, heißt es bei den Parteifreunden, die sich unter Sonnenschirmen zusammendrängen: „Hauptsache, er war da.“ Die neugierigen Potsdamer können nicht miteinander über Fischer reden. Unter ihren kleinen Schirmen hat höchstens noch die eigene Freundin Platz.