Vergessen hilft beim Jüngerwerden

■ Berlin Beta, die Konferenz für branchenübergreifendes Arbeiten, war wiederholt ein bisschen Mitte, informativ, existenzgründerorientiert und so berührungsangstfreisinnig

Alles ist very new media und ein bisschen techno-lookalike. „Es ist wichtig, das mal downzubrainen!“

Das Foto von Stephan Balzer und Marc Wohlrabe im Programmheft zur „Berlin Beta version 2.0“-Konferenz schaut aus wie das Neue Berlin: jung, erfolgreich und im Hintergrund so leicht verwischt der Fernsehturm. Das mit einem Komma in den nächsten Satz gleitende „Sehr geehrte Damen und Herren“, mit dem die beiden Initiatoren der „Berlin Beta version 2.0“-Konferenz all die ansprechen wollen, „die branchenübergreifend arbeiten“, hat etwas Lässiges, so im Sinne von: Eigentlich sind wir ja alle so ein bisschen Mitte und sagen du zueinander, können aber logischerweise auch mit den Offiziellen, deren Grußworte später kommen. So genügen wir dem wechselseitigen Duzbedürfnis zwischen Schnupperpraktikanten junger Werbeunternehmen und ihren juvenilen Chefs und der gegenüber Auftraggebern angebrachten Siezerei.

Die Beta-Konferenzschiene gabs also am Freitag und Samstag im schicken Konferenzzentrum der Berliner Industrie- und Handelskammer. Vor einem Jahr fand Beta parallel zum peinsamen 68er „Ruck“-Kongress und zur Hanfparade statt. Diesmal wurde die Konferenz „ergänzt“ – wie man als Mitte zu sagen pflegt – von IFA, Hanfparade und Hertha gegen Bremen (1:1). Trotz beeindruckender Eintrittspreise (120,– pro Tag, ermäßigt: 80,–) seien mit über 500 Teilnehmern am ersten Tag doppelt so viel wie im letzten Jahr gekommen, freute sich Flyer-Herausgeber Marc Wohlrabe, der Anfang des Jahres am Wahlprogramm der CDU mitgearbeitet hatte und sich nun über die ausländerfeindliche Kampagne der Kreuzberger Jungen Union aufregte, die daraufhin auch gleich wieder eingestellt wurde.

Die 40 Vorträge, Präsentationen, Diskussionen und Workshops in zwei Konferenzsälen gaben sich mal mehr pragmatisch existenzgründerorientiert, mal informativ, berührungsangstfreisinnig, mal kunst-, mal werbeorientiert, feuilletonistisch oder sympathisch verspielt, etwa als David Lindermann und Jeremy Abbett von der Hamburger Firma „Fork Unstable Media“ den so genannten Erlebnischarakter ihrer und anderer schicker Internetwebsites vorführten. David Lindermann, der 1994 am Anfang der ersten kommerziellen Internetwelle nach Deutschland kam, war der Einzige, der mit seinen hochgewuselten Haaren dem Bild des so leicht hippieesken Computernerds entsprach. Gegen die, die meinten, die ästhetische Entwicklung gehe linear hin zu immer raffinierteren elektronischen Gimmicks, führte er den Superriesenerfolg des Oberlow-Budget-S-8-Horrorfilms „Witchcraft“ an, der das große Bedürfnis nach Einfacherem illustriere. Dann führte er eine witzige „Design-your-own-club“-Seite vor.

Uncoolerweise verweigerten sich die Lautsprecher des Hauses konsequent allem, als es um das Thema „der Designer als Multimedia-Regisseur“ ging. „Innovation und die Überwindung von Hindernissen“ funktionierte da besser. Haupthindernis beim E-Commerce sei die Datenschutzangst der Deutschen und das Fehlen vernünftiger Electronic-Cash-Bezahlungsmethoden in Deutschland, berichtete Holger Maaß von der Fittkau & Maaß GmbH. „E-Commerce“ stecke noch in den so genannten Kinderschuhen – deshalb gabs auch irgendwann ein mit „Wir werden alle jünger“ überschriebenes „Special Print Panel“ in Sachen „Berliner Zeitungskrieg und die Suche nach neuen Zielgruppen“. Die beste Methode, immer jünger zu werden, ist konsequentes Vergessen. Der pragmaorientierte Diplomdesigner und Pixelpark-Mitbegründer Eku Wand hat den Edutainment-mäßigen Dokumentar-Thriller „Berlin-Connection“ gebaut, eine CD, auf der man Berlin kennen lernen kann. Der englische Creative Director Philip Dean arbeitet bei der renommiert-kreativen Werbefirma „Attik“ mit Büros in New York, San Francisco und Sydney „an so ziemlich allem von MTV bis Nike“. Alles ist very new media und ein bisschen techno-lookalike. „Es ist wichtig, das mal downzubrainen!“ Manches sieht wie eine interessante Drogenwahrnehmung aus.

Die Internetseiten von de:bug, einem „Medium, das das Leben, das wir führen, illustriert“, geben sich dagegen eher karg. Die einen verdienen saumäßig viel Geld, die anderen – die de:bugler oder die Kollegen von klubradio.de – machen ihre Sachen umsonst, was nicht thematisiert wurde. Auf klubradio.de kann man in der Nacht live hören, was die DJs grade im Maria, im Tresor oder im WMF so treiben. Das ist Klasse, weil es so was ja nicht auf Platte gibt!

Es ging noch – mit einem sympathischen Gewerkschaftler, der sich für Modulausbildung einsetzte – um die schlechten deutschen Ausbildungsmöglichkeiten in neumodischen Medienberufen. Ein Publikumsbeitrag erzählte begeistert vom Motivationsschub, den es für ihn bedeutet habe, ein paar Meter von Schlöndorff entfernt in Babelsberg in der Kantine zu essen. Es gab diverse prima Kunstprojekte, die sich in Sachen „die Architektur des Events“ vorstellten. Nur die Philosophen und Sozialwissenschaftler blieben komischerweise draußen. McLuhan gabs nur als Bonmot.

Vor dem Ludwig Erhard Haus saß eine schöne junge Frau, die im Auftrag des Fachbereichs Wirtschaftskommunikation an der HdK und im Rahmen eines studentischen Projekts Profile der Besucher erstellt. Ein Drittel derer, die sie bislang ausführlichst befragt hatte, waren ausgesprochen begeistert, der Rest gab sich eher verhalten und mäkelte an der Organisation herum. Einer sagte: „Die Vorträge haben mich nicht so vom Hocker gerissen und die Workshops sind schlecht organisiert gewesen.“ Ob sein Herz für Berlin schage? – „Ja, ja, ja!“

Die meisten tun so, als wenn sie ihrem Klischee entsprechen würden: jung, kreativ, risikofreudig und popkulturinteressiert.

Später wollte sie noch auf die Hanfparade. Drogen sind schließlich das älteste Medium. Auf der Hanfparade war es auch super!

Detlef Kuhlbrodt