Autonomer Antirassismus

Campen in der „national-befreiten Zone“. In Zittau in der „Euroregion Neiße“ ließ sich das Grenz-Camp 99 nieder und stritt mit Musik und linken Parolen gegen Rassismus und Ausgrenzung  ■   Von Andreas Fanizadeh

„Es ist wahrlich kein schönes Gefühl, wenn einen auf dem Gehsteig des Zittauer Marktplatzes plötzlich sechs bis acht schwarz gekleidete Jugendliche umringen und in barschem Ton den Personalausweis fordern.“ Peter Chemnitz ist empört. An einem hochsommerlichen Augustwochenende beobachtet er mit seinem Kollegen Jürgen Zacharias eine Demonstration der Initiative „kein mensch ist illegal“. Die beiden sind aus beruflichen Gründen hier. Sie sollen für die Sächsische Zeitung Bericht erstatten. „Wer kurze Haare trägt“, schimpft Chemnitz, „wird rechts eingeordnet und hat sich – im Originaljargon der Autonomen – 'zu verpissen‘. Da dürfen die Autonomen bestimmen, wer wann auf dem Markt stehen darf.“ Das scheint noch nicht oft vorgekommen zu sein. „Sollte es in Zittau viele Sympathisanten für die Leute vom Grenz-Camp 1999 gegeben haben“, folgert auch Zacharias, „dürfte die Zahl langsam aber sicher gegen null sinken.“ Fraglich ist allerdings, ob es da viel zu sinken gab. Zacharias bringt es beispielsweise schon in Rage, dass „ein Zittauer“ von „drei Campteilnehmern vom Platz gejagt wird, nur weil der Angegriffene auf seinem Rucksack ein Eisernes Kreuz aufkleben hatte“. Verkehrte Welt.

Zittau und die umliegenden Gemeinden haben sich mit den Nachbarn auf tschechischer und polnischer Seite zur „Euroregion Neiße“ zusammengeschlossen. Die Organisatoren des Grenz-Camps von „kein mensch ist illegal'' schreiben in ihrer Kampagnenzeitung von einer der bestbewachtesten Grenzen der Welt. Allein an der EU-Außengrenze zu Polen und Tschechien seien 1998 mehr als 40.000 illegal Einreisende aufgegriffen und zurückgeschickt worden. Nun steht man da, und weder Stacheldraht noch Infrarot-Kameras noch bundesdeutsche Grenzschutzbeamten und ihre vierbeinigen Freunde sind zu sehen. Bestbewachteste Grenze der Welt?

Der Bundesgrenzschutz (BGS) könne sich die augenblickliche Zurückhaltung im Dreiländereck durchaus erlauben, erklärt Olga Sachs, eine der Organisatorinnen von „kein mensch ist illegal“. „Die Einheimischen machen für die den Job.“ Die könnten besser als jeder Grenzer zwischen Touristen und ungebetenen Gästen unterscheiden. Die Bereitschaft, illegal Einreisende zu denunzieren, sei sehr groß. Auch der Druck auf diejenigen, die sich dem widersetzten. Taxifahrer, die in der Grenzregion Fahrgäste ohne Aufenthaltsberechtigung transportierten, wurden als „Schleuser“ teilweise zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Sollten es dennoch einige über Feld, Berg, Wald und Fluss unbemerkt auf EU-Boden schaffen, ohne fremde Hilfe kommen sie meist nicht weit. Die Verkehrsknoten, mögen sie auch Kilometer hinter den Grenzen liegen, müssen schließlich irgendwann passiert werden. Und diese sind mit verhältnismäßig geringem Aufwand zu überwachen.

Eigentlich sollte das Camp im Luftkurort Lückendorf stattfinden, wurde dann doch aus Naturschutzgründen gestoppt. Alle Versuche der Camp-Organisatoren, mit Lückendorfer Gemeinderäten ein Ersatzquartier auszuhandeln, gingen schief. In solchen Momenten, in denen gar nichts mehr zu gehen scheint, schlägt im Osten Deutschlands oftmals die Sunde der wackeren Unterhändler von der PDS. Die Postkommunisten kennen ihre örtliche Klientel und wissen, wer in den Ämtern das Sagen hat. Nach zähen Verhandlungen hinter den Kulissen fügt sich Zittaus Oberbürgermeister Kloß ins Unvermeidliche. Das Camp soll auf ein städtisches Ersatzgelände umziehen und dort geduldet werden.

Der Waldparkplatz ist am Freitagabend bereits überfüllt. Eine nervöse und gereizte Stimmung macht sich unter den bislang Eingetroffen breit. Irgendwo im Nadelgehölz auf einen Schotterplatz, eingekreist vom BGS, so hat man sich das schließlich nicht vorgestellt.

Endlich setzt sich der Track samt Bauwäglern, Traktoren und der mobilen „VoKü“ (Volksküche) aus dem Wendland in Bewegung. Und es geht auf so etwas wie einen „Russenschießstand“. Zwei Tage später stellt die Stadtverwaltung ein größeres Distelfeld an der Bundesstraße nach Görlitz zur Verfügung. Dieses wird dann bezogen und mitunter von vorbeifahrenden Nazis mit Luftdruckgewehren beschossen. Ein paar Autoscheiben gehen zu Bruch.

„Wir sind Könige und wir wollen kein Volk.“ Der das sagt, trägt über einem Bademantel eine blau-rot-weiße Scherpe. Auf dem Kopf sitzt eine goldene Krone aus Pappe. Der kleine Junge hatte seinen Vater zur Frage vorgeschickt. Beide sind sie neugierig und lächeln bei der merkwürdigen Anwort etwas verlegen. Etwa 30 Könige und Königinnen schreiten am ersten Campwochenende durch die Zittauer Innenstadt. Sie sind aus Hamburg angereist und gehören zum Umfeld des Hamburger Wohlfahrtsausschuss, St.-Pauli-Intellektuelle aus der Subkulturszene, die sich u. a. mit den Namen von Bands wie Blumfeld oder Goldene Zitronen verbindet. Sie sollen bei der Vorstellung und Begrüßung der Zittauer Bevölkerung das Menschenrechts-Camp kulturell repräsentieren. Als KönigInnen verkleidet treten MusikerInnen von den Three Normal Beatles, Soup de Null und der Hengst-Achinger Supergroup am Marktplatz auf. Spätestens als Bernadette Hengst und Katrin Achinger die Coverversion des alten Blondie-Hits „Maria“ anstimmen, sind zumindest die etwa 200 Anwesenden vom Grenz-Camp sehr zufrieden. Einheimische sind an diesem Samstagnachmittag kaum zugegen. Von den eigentlichen Organisatoren des Grenz-Camps ist zunächst kaum etwas zu hören. Zwischendurch beschimpft immerhin jemand in kurzen Hosen und knappen Sätzen den Bürgermeister und droht den einheimischen Nazis: „Den Rassisten auf die Finger hauen.“ Zum weiteren politischen Zusammenhang leider kaum etwas.

Um die angemeldete Kundgebung auf dem Parkplatz schleichen permanent – und von den Ordnungskräften völlig ungehindert – einheimische und auswärtigen Nazis in ihren Automobilen. Auch ein berüchtigtes Ostphänomen der jüngeren Neuzeit, ein Turbo-Trabi mit abgedunkelten Rückfenstern, gibt sich die Ehre. Manche der Rechten sind gleich so dreist und drehen mehrmals die Runde. Immer schön nah und am liebsten im Bauernferrari an der Demo vorbei, bis ein Glatzkopf durchs offene Fenster blitzschnell mal eine gewischt bekommt. Die blutige Nase ruft sofort die Polizei herbei.

Was die Abordnung aus Hamburg spielerisch und durch Witz – und vor allem auch Selbstironie – aufzubrechen versucht, wird allerdings vom traditioneller eingestellten Teil der Demonstration sogleich wieder befestigt. Dass vieles vielleicht gar nicht so selbstverständlich ist, wie einige glauben, davon zeugt auch eine verunglückte Plakatlosung. „Keine Grenze ist für immer“ hatten Autonome aus Berlin im Vorfeld des Camps plakatiert. Nicht alle halten die historisch unbekümmerte Losung an den Grenzen zu Polen und Tschechien für eine prima Idee. „Kein mensch ist illegal“ aus München hat andere Plakate drucken lassen. Auch rhetorisch will man nicht in die Nähe von Revanchisten geraten.

Die Zusammensetzung eines links-aktivistischen Menschenrechts-Camps kann heute gar nicht anders als höchst heterogen sein. Die außerparlamentarische, links von Rot-Grün agierende Szene hat wenig gemeinsame Schnittpunkte. So gibt es auch, bevor die Hamburger KönnigInnen, verstärkt mit Chicks On Speed aus München, am Soundsystem endlich die Kontrolle übernahmen, Klänge aus dem längst versunkenen Autonomen-Reich. Bob Marley und Ton Steine Scherben, „Keine Macht ... dadabombom ... für niemand“.

Bruchlos werden die historischen Konserven von Ende 60/Anfang 70 aktualisiert. Und viele der jüngeren Linken – gerade aus dem Osten Deutschlands – stehen in ihren Postpunk- und Hippie-Outfit vor dem Abgrund einer bereits in den 70ern erstarrten Lebensform, die sie schon als den politischen Inhalt schlechthin begreifen.

Nach zehn Tagen reist das Camp aus Zittau wieder ab. Das Camp geht, der Alltag bleibt. Aus der Rubrik „Polizeibericht“ der Sächsischen Zeitung, zwei Tage nachdem die letzten auswärtigen Linken abgereist waren: „Gewalt. In der Nacht zum Sonntag warfen auf der Zittauer Baderstraße Jugendliche mit Bierflaschen und Steinen nach einer Personengruppe. Verletzt wurde zum Glück niemand. Im Verlauf der Nacht wurde mittels einer Schreckschusswaffe auf der Neuen Straße und am Stadtring auf Passanten geschossen. Fünf Verdächtige im Alter zwischen 19 und 21 Jahren wurden noch in der Nacht vorläufig festgenommen.“ Das hat nur mit „Gewalt“ und nichts mit Politik zu tun? Web-Seiten: nadir.org/nadir/ initiativ/camp Literatur: cross the border (Hg.): „kein mensch ist illegal“. Berlin 1999, 144 Seiten, 15 DM