Ein Machtwort macht 10.000 Mark

Nach dem schmeichelhaften 1:0 über Unterhaching könnte Ruhe bei den Bayern einkehren – ausreichend lethargisch scheinen sie bereits zu sein  ■   Aus München Gerald Kleffmann

Der Schlusspfiff war gerade ertönt, da erhob sich Franz Beckenbauer, schüttelte die Hand seines Nachbarn Edmund Stoiber – und ging. Nun ist die Laune Beckenbauers bekanntlich ein Gradmesser für die Erfolgskurve des FC Bayern München, folglich durfte man Unheil ahnen, als der Präsident beim Verlassen des Olympiastadions doch noch erzürnt hinausposaunte: „Das war kein Fußball, das war ein Gewürge!“

Ganz so schlimm war es dann aber doch nicht, immerhin feierte seine Mannschaft den ersten Sieg in dieser Saison. Andererseits kam das kaum überraschend, schließlich war der Gegner Bundesliganeuling SpVgg Unterhaching, und dem hatten selbst große Optimisten keine Chancen eingeräumt. Es hatte ja nicht nur Beckenbauer mehr erwartet als ein mühevolles 1:0 gegen den Außenseiter.

„Leider haben wir versäumt, das 2:0 zu machen“, analysierte Uli Hoeneß anschließend wenig geistreich und emotionslos, um sich kurze Zeit später der Gemütslage seines Präsidenten zu nähern. „Wenn wir uns auch noch für Siege rechtfertigen müssen, dann gute Nacht“, ließ er die umstehenden Reporter gereizt wissen.

Der Grund für seinen abrupten Stimmungswechsel war ein Thema, das den Sieg gegen Unterhaching verdrängt hatte. „Matthäus geohrfeigt“, hatte die Bild-Zeitung am Samstag einen Touristen zitiert, der gesehen haben will, wie Bixente Lizarazu seinen Kollegen Matthäus nach einem Streit im Training mit der Hand ins Gesicht schlug.

„Der Zeuge hat wohl ein paar Bierchen zu viel getrunken“, versuchte der Rekordnationalspieler die Affäre herunterzuspielen, und Hoeneß adjutierte ihm, dass so was 100.000 Mal im Training vorkomme. Auch ohne Ohrfeige muss aber etwas vorgefallen sein, sonst müsste nicht Lizarazu eine Geldstrafe von 10.000 Mark bezahlen und hätte Beckenbauer nicht „ein Machtwort gesprochen“, um wieder Ruhe herzustellen.

Die wünscht sich der FC Bayern momentan fast so sehr wie den Titel in der Champions League; der verpatzte Saisonstart, das Verletzungspech und die Streitereien wirken dem kräftig entgegen. Als lasteten diese Probleme auf ihren Schultern, so agierten die Bayern gegen Unterhaching von Beginn an gehemmt, fast lethargisch.

Dabei könnten die Unterschiede zwischen beiden Mannschaften kaum größer sein. Auch wenn die Spielvereinigung vor dem Match als Tabellen-Elfter vier Plätze vor den Münchnern rangierte und im Vorfeld von Giovane Elber scherzhafterweise als „Goliath“ bezeichnet wurde: Die Gehälter von Elber, Effenberg und Matthäus sind zusammen annähernd so hoch wie der Saisonetat der Spielvereinigung (18,5 Millionen Mark), und bei Anpfiff saßen allein sechs Nationalspieler beim FC Bayern auf der Bank, darunter Mario Basler und Giovane Elber.

Trotzdem dauerte es bis zur 25. Minute, ehe das erste Mal ein Münchner Schuss das Gäste-Tor ansteuerte. Die Unterhachinger waren bis dahin ein gleichwertiger Gegner und gingen engagiert in die Zweikämpfe. Die Bayern prallten allzuoft an „der Wand“ ab, wie Trainer Ottmar Hitzfeld die Spielweise der Unterhachinger umschrieb, kamen aber vor allem nach Standardsituationen zu Chancen. Jancker, Strunz und Santa Cruz vergaben nach drei Ecken in Folge die Führung.

Es passte zur Leistung des FC Bayern, dass kurz vor der Pause eine Einzelaktion das Spiel entschied. Noch in der vergangenen Woche hatte Hitzfeld appelliert, gegen die defensiv eingestellten Unterhachinger „die Lücke zu finden“. Santa Cruz, 18-jähriger Zugang aus Paraguay, setzte dies prompt in die Realität um. In der Halbzeit zeigte sich DFB-Teamchef Erich Ribbeck begeistert von dem Stürmertalent und enttäuscht von seinen Mitspielern, denen es noch an Spritzigkeit fehle. In der Tat hatte Bayern in der zweiten Hälfte außer einem Schuss von Matthäus nichts mehr zu bieten.

Und die Unterhachinger? Die freuten sich, dass Altin Rraklli einen Freistoß an den Pfosten zirkelte, vor allem aber über das Erlebnis, vor 63.000 Zuschauern gespielt zu haben. Das waren 200 mehr als in allen Heimspielen der vergangenen zwei Jahre zusammen, und so war man erleichtert, dass man „mithalten konnte vor so vielen Fans“ (Bergen). Trainer Lorenz-Günther Köstner registrierte erstaunt, „dass man Chancen hatte“, und Ludwig Kögl empfand den Gegner „als nicht so stark“.

Die Bayern wiederum verbuchten nicht nur den ersten Saisonerfolg, sondern wissen auch Stefan Effenberg zurück, der nach siebenwöchiger Verletzungspause sein Comeback feierte. Und hinsichtlich der Auseinandersetzung Matthäus contra Lizarazu stellte Hoeneß mit rotem Kopf, aber grinsend fest: „Zu meiner Zeit gab's so was zweimal pro Woche.“

So gesehen ist es dieser Tage ja richtig ruhig beim FC Bayern München.

FC Bayern München: Dreher – Matthäus – Babbel, Linke, Lizarazu – Strunz (75. Effenberg), Jeremies, Scholl (85. Elber), Sergio – Jancker (75. Basler), Santa Cruz

SpVgg Unterhaching: Wittmann – Bergen (81. Haber) – Grassow, Seifert – Matthias Zimmermann, Oberleitner (46. Kögl), Strehmel, Schwarz, Straube (79. Mark Zimmermann) – Rraklli, Seitz

Zuschauer: 63.000 Tor: 1:0 Santa Cruz (40.)