Die DM geht, ihr Hüter auch

Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer ist im Ruhestand. Für die einen garantierte er die starke DM, für die anderen war er ein kalter Neoliberaler  ■   Ein Porträt von Katharina Koufen

Berlin (taz) – Ein Beamter der alten Schule geht in Ruhestand: Johannes Bernhard Josef Tiet–meyer. Der scheidende Bundesbankchef steht für bewährte deutsche Tugenden wie Pflichtbewusstsein, Loyalität, Fleiß, Arbeitswut, Standhaftigkeit, Bodenständigkeit. Er bevorzugt gediegene Holzmöbel, Urlaub in Bayern und zeitlose, schlichte Anzüge. Schmuck genug für besondere Anlässe ist ihm sein Bundesverdienstkreuz. Grell gemusterte Krawatten, Armani-Westen, Siegelringe? Undenkbar.

Der Biedermann steht zu seinem Image. Er sei standhaft wie eine Eiche, sagt er von sich selbst. „Ein typischer Westfale“, beschreibt ihn ein Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums. „Er war immer verschwiegen und hat sich nach außen loyal zu politischen Entscheidungen gezeigt, auch wenn er persönlich eine andere Meinung hatte.“

Hans Tietmeyer ist schon als Kind zu Disziplin und Sparsamkeit angehalten worden. Kein Wunder, denn bei elf Kindern war die Familie knapp bei Kasse. Sein Vater, Gemeinderentmann im westfälischen Metelen, war darüber hinaus ein sehr korrekter Mann. Er soll sein Amt so genau genommen haben, daß er Privatpost nicht mit dem Füller aus seinem Dienstbüro unterzeichnete – die Tinte mußte schließlich die Gemeinde bezahlen.

Nach dem Abitur studiert Tietmeyer zunächst katholische Theologie an der Uni Münster. Nach zwei Semestern schreibt er sich jedoch für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften ein. „Soziales Engagement bedarf einer ökonomischen Basis“, begründet er später diese Entscheidung.

An den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten dominiert in den 50er Jahren der Ordoliberalismus. Zwar bestimmt der Markt – und nicht der Staat – das Wirtschaftsgeschehen, so die Schule. Doch der Staat garantiert den Ordnungsrahmen, muss Wettbewerbsverzerrungen verhindern. Der Student aus Metelen schreibt seine Diplomarbeit über einen Vergleich zwischen den Ordnungsvorstellungen der Neoliberalen und der katholischen Soziallehre. Das Examen legt er bei Alfred Müller-Armack ab, der „das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs verbinden will“ und damit die „soziale Marktwirtschaft“ erfindet – ein Konzept, in dem Tietmeyer seine Vorstellung von „stabiler ökonomischer Basis und sozialem Engagement“ verwirklicht sieht.

Nach seiner Promotion 1960 in Köln startet der junge Ökonom eine steile Karriere: 1962 wird er unter Ludwig Erhard zuerst Referent und fünf Jahre später Referatsleiter im Wirtschaftsministerium. „Im Schweiße seines Angesichts kann es jeder schaffen“, lautet Tietmeyers Motto. Daran hält sich Tietmeyer, im beruflichen wie im privaten Leben. Und obwohl inzwischen die SPD an der Regierung ist, steigt der CDU-Mann zum Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium auf.

Die Kollegen kennen den Westfalen als Arbeitstier, das von allen Mitarbeitern den gleichen bedingungslosen Einsatz verlangt, das kaum von seinem Familienleben spricht und Feiern lieber fernbleibt. „Er ist ein unermüdlicher Arbeiter, getrieben von einer vorbildlichen Pflichtauffassung“, beschreibt ihn der Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg.

Als Tietmeyers Frau Selbstmord begeht und er mit zwei Kindern alleine zurückbleibt, nimmt er lediglich eine Woche Urlaub. Als er 1988 nur durch Glück einem RAF-Attentat entgeht, ist das kein Grund für ihn, vom Dienst fernzubleiben. Pünktlich um neun sitzt er am Schreibtisch und sichtet seine Akten.

Seinem Credo bleibt Tietmeyer zeit seines Berufslebens treu: Das A und O einer stabilen ökonomischen Basis sei die Geldwertstabilität. Immer wieder betont er deren „Bedeutung für das Gemeinwesen: Inflation ist unsozial“. Sie bringe die Menschen um ihre Ersparnisse und verhindere die individuelle Eigenvorsorge.

Unter der Regierung Kohl wird er Staatssekretär. Fortan findet kaum eine wirtschaftspolitische Entscheidung statt, ohne daß Tietmeyer an ihr beteiligt gewesen wäre.

1990 beauftragt Kohl seinen „persönlichen Berater in Sachen Wirtschaftspolitik“ mit der deutschen Währungsunion. Obwohl der Schutzpatron der harten D-Mark dagegen ist, Westmark gegen Ostmark im Verhältnis eins zu eins zu tauschen und dem Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ zu folgen, kann er die populistischen Beschlüsse der Regierung nicht verhindern. Erfolgreicher für ihn verlaufen hingegen die Verhandlungen um den Maastrichter Vertrag: Tietmeyer setzt die politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank durch.

Sein Amt als Bundesbankpräsident macht ihn 1993 zum bestbezahltesten Staatsdiener und zu einem der meistgehassten Akteure in der europäischen Wirtschaftspolitik. Der „Hohepriester der D-Mark“, wie die französische Zeitung Le Monde ihn beschimpft, sei „arrogant“, „brutal“ und „unerbittlich“, ein „grauer Gnom aus Markopoli“, schiebt der italienische Corriere della Sera nach.

Der Grund für die Verbitterung im Ausland: Mit seiner strikten Geldpolitik drückt Tietmeyer zwar die Inflation der europäischen Leitwährung D-Mark auf ein Dauerrekordtief. Gleichzeitig nimmt er damit aber den anderen europäischen Staaten die Möglichkeit, über Zinssenkungen und großzügigere Staatskreditvergabe ihre Konjunkturen zu beleben.

Auch im eigenen Land sind die geldpolitischen Ziele des Bundesbankpräsidenten den Finanzministern nicht immer opportun. Theo Waigel streitet mit Tietmeyer über Verkauf oder Neubewertung der Goldreserven, Lafontaine fordert ihn auf, den Leitzins zu senken. Der Westfale bleibt stur.

Tietmeyer warnt davor, den Euro einzuführen, ohne die politische Integration in Europa voranzutreiben: „Ich möchte, dass man vorher um die starken Anpassungslasten auf dem Arbeitsmarkt und den nationalen Finanzsystemen weiß.“ Pflichtbewusst übt er dennoch sein Amt als Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank aus. „Das Wächeramt für die Währungsstabilität bleibt eine der vornehmsten Aufgaben der Notenbank“, gab er in seiner Abschiedsrede gestern seinem Nachfolger Ernst Welteke mit auf den Weg.

So wird Tietmeyer den einen als Hüter der D-Mark in Erinnerung bleiben, anderen – wie dem französischen Kritiker Pierre Bourdieu – als „Galionsfigur eines entfesselten Neoliberalismus“. Der 68jährige sagt über sich selbst: „Man kann mir viel vorwerfen, aber sicher nicht, daß ich die Ökonomie an sich hinreichend und ausreichend finde. Ich bin selber vielleicht sogar das schlechteste Beispiel für einen Repräsentanten des kapitalistischen Systems.“