Explosive Schlamperei beim S-Bahn-Bau

■ Bauleitung übersah beim Trassenbau zwischen Hannover und Lehrte sechs Warnungen vor Bomben-Blindgängern mit Spätzündung, kam aber mit dem Schrecken davon

Hannover (taz) – Zu einer gefährlichen Schlamperei ist es beim Bau einer neuen S-Bahn-Strecke zwischen Hannover und dessen Vorort Lehrte gekommen. Auf einem 250 Meter langen Streckenabschnitt hat die hannoversche Baufirma Papenburg von sich aus auf die vorgeschriebene Suche nach Blindgängern aus dem ZweitenWeltkrieg verzichtet – obwohl eine Anordnung der Bezirksregierung Hannover vorlag, in der auf sechs Stellen hingewiesen wurde, an denen alte Bomben liegen könnten. Das bestätigte der Geschäftsführer des Bauunternehmens, Rainer Digwa, gestern: „Vor Ort war diese Anordnung zwar vorhanden, aber die Bauleitung hat sie leider übersehen.“

Nach Angaben des Kampfmittelbeseitigungsdienstes in Hannover wurden während des Zweiten Weltkriegs über dem Gebiet am östlichen Stadtrand von Hannover auch Bomben mit Langzeitzündern abgeworfen. „Diese Zündsysteme neigen zur Selbstdetonation, und dies kann durch Erschütterungen befördert werden“, sagte der Leiter des Kampfmittelbeseitungsdienstes, Udo Fischer. Zuletzt sei im Juni dieses Jahres eine ähnliche Bombe im hessischen Nidda von sich aus detoniert.

Auf dem Abschnitt der S-Bahn-Trasse Hannover-Lehrte, wo nun ohne Vorsichtsmaßnahmen gebaut wurde, waren bereits im Frühjahr erste Messungen durchgeführt worden. Im Auftrag des Bauunternehmens Papenburg, dem die Bahn AG auch die Kampfmittelbeseitigung vertraglich überantwortet hat, bohrte eine Spezialfirma nach einem engen Raster alle zwei Meter. Mit Magnetfeldmessungen fahndeten die Experten dabei bis in fünf Meter Tiefe nach größeren Gegenständen aus Eisen und damit nach Hinweisen auf alte Bomben. Die Ergebnisse legten sie der Bezirksregierung Hannover zur Auswertung vor.

Der der Behörde unterstellte Kampfmittelbeseitigungsdienst entdeckte aufgrund der Messergebnisse und von Luftbildern der Alliierten des Zweiten Weltkriegs sechs Punkte, an denen Blindgänger liegen könnten.

Dass die Anordnung der Bezirksregierung dann ignoriert wurde, erklärt die Firma Papenburg mit den fast drei Monaten, die anschließend noch bis zur Aufnahme der Bauarbeiten auf dem Streckenabschnitt vergingen.

An den sechs Verdachtsstellen soll die Suche nach Blindgängern jetzt nachgeholt werden. Verzögerungen beim S-Bahn-Bau erwartet Papenburg-Geschäftsführer Digwa dadurch nicht. Auf dem betreffenden Streckenabschnitt sind bisher lediglich Erdarbeiten durchgeführt worden. Anschließend wurde ein Unterbau aus Sand aufgeschüttet. Die nachträgliche Blindgängersuche soll deswegen nur zwei bis drei Tage in Anspruch nehmen. Jürgen Voges